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01.08.2018

B17 Wie viel christliche Symbolik darf es denn sein?

Versucht man eine Systematik der Symbolik nach hierarchischen Gesichtspunkten vorzunehmen, wird man wohl zuallererst auf die Hostie und den durch sie repräsentierten Leib Christi aufmerksam, denn etwas Bedeutenderes als die Beziehung zu Gott ist nicht vorstellbar. Durch den Vorgang der Wandlung wird die Hostie zum Repräsentanten des Erlösers. Dass ein Lebensmittelchemiker nach dem Ritus keinen Unterschied zum vorherigen Zustand der Oblate feststellen könnte, wissen die Gläubigen, ebenso, dass der Vorgang symbolisch zu verstehen ist, insonderheit des Zu-Sich-Nehmens der Hostie. Ungeachtet dessen dürften im Angesicht des Tabernakels – nun vielmehr des Heilands – die allermeisten Glaubensbekenntnisse abgelegt worden sein. 

                        

                                  Tabernakel St. Ignaz, Mainz

Bezüglich der Akzeptanz haben Gläubige keine Mühe, vielmehr schätzen sie die Möglichkeit, Gott auch mit dem Herzen nahe zu sein, und mit dem Herz ist schlichtweg die ganze Gefühlswelt gemeint. Symbole haben Zugang zu ihr - eine ganz besondere Eigenschaft.

Von Anders- und Ungläubigen wird Toleranz abverlangt, wenn sie Prozessionen begegnen oder Glockengeläut vernehmen. Wie viel Symbolik vertragen denn nun die Andersdenkenden, zu denen wir der Einfachheit halber auch die Gleichgültigen zählen?

Wer ist sich im Alltag dessen bewusst, dass die Einteilung der Wochentage in Analogie zur Schöpfungsgeschichte erfolgte? Und die Zeitrechnung ab Christi Geburt scheint insofern praktischer Natur zu sein, denn zählte man ab dem Urknall, wäre das Datum zu lang.

Doch es gab Zeiten, da war es aus mit der Toleranz bezüglich Symbolik. Die Rede ist von der Einführung des Revolutionskalenders 1793 und der Dezimalzeit, d.h. dass der Tag in 10 Stunden und die Stunde in 100 Minuten geteilt wurde. Es ging darum, den Blick frei- und dem rationalen Denken zugänglich zu machen. Doch war das schon alles, ein neuer Kalender? 

Seine erste Erschütterung erfuhr das mittelalterliche Weltbild durch Nikolaus Kopernikus. Seitdem war die Erde nicht mehr Mittelpunkt des Kosmos. Dennoch hielt man an der Vorstellung fest, dass die Harmonia Aeterna oder Harmonia Macrocosmica, wie es der Name schon sagt, mit der Harmonie der Musik in Einklangzu bringen sei, und letztere war buchstäblich bis zum Wiederholungszeichen mit christlicher Symbolik angereichert. Kritiker würden wohl den Begriff Kontamination ins Spiel bringen.

Beispielsweise erhielt die Oktav ihren Namen von den 8 Seligpreisungen der Bergpredigt und von der Auferstehung am 8. Tage. Die Griechen verwendeten das Zahlwort nie. Ebenso kannten sie keine Prim, weil sie ein Intervall durch den Abstand zweier ungleicher Töne definierten. Die Frühchristen sahen jedoch in der Konsonanz der Prim das A und in der Konsonanz der Oktav das Ω. In den 7 Stufen auf dem Wege zu Gott – die Jakobsleiter wurde zur Tonleiter – erkannten sie die Sieben Gaben des Hl. Geistes: Gottesfurcht, Frömmigkeit, Nächstenliebe, Tapferkeit, Barmherzigkeit, Feindesliebe und Weisheit. Ut, Re, Mi, Fa, So, La und Si, die Anfangssilben des Johannes-Hymnus, verweisen seitdem wie seiner Zeit Johannes der Täufer auf das Kommen des Erlösers. Die 2x3(eck) Symbolik des Davidsterns findet sich im Dur- und Moll-Dreiklang wieder, und nach Censorinus (3. Jhdt. n. Chr.) entwickelte sich auch ein Kind im Mutterleib nach harmonikalen Gesetzen.

Eine Aufzählung mit Anspruch auf Vollständigkeit könnte kaum enden, denn in schlichtweg allem – in uns und um uns herum – wurde nichts anderes als Gottes Schöpfung gesehen und alles verlief harmonisch – wie denn auch sonst.

Heute würde man christliche Symbolik als Corporate Identity des Weltherstellers bezeichnen, doch ins Mittelalter möchte niemand zurück. Andererseits bleibt der Begriff Feindesliebe im Gedächtnis haften und aus den Nachrichten erfahren wir täglich, wie es darum steht – und um den zivilisatorischen Fortschritt seit jenen Tagen.

Das Zu-Herzen-Gehen der Symbolik – vornehmlich mittels Musik – ermöglicht eine suggestive Beeinflussung seitens der Kirchen, von denen man im Schulunterricht aufgrund der Trennung von Kirche und Staat nichts hören will. Daher stösst das Thema auf Ressentiments und Medien scheuen es aufgrund der "religionspolitisch aufgeheizten Zeiten“ wie der Teufel das Weihwasser. Geistige Unabhängigkeit geht anders, kulturhistorisches Interesse ebenso.

Symbolik fährt unter die Haut und hat Einfluss auf die Psyche. Freitag der 13., das Trauma des Karfreitags in Verbindung mit dem 13. Teilnehmer beim letzten Abendmahl – dem Verräter – ist ein Beispiel hierfür und noch heute jedem ein Begriff. Wie im Guten, so wirkt Symbolik auch im Bösen, nicht durch Magie, sondern durch psychische Prädisposition. So ist das Hakenkreuz in der Lage, als Trigger Flashbacks auszulösen; hingegen verschafft es den Gefolgsgenossen am rechten Rand das Gefühl der Stärke. Da Symbole als solche substanziell nichts ausrichten, sind sie mit Placebos vergleichbar, denen eine Wirkung über den Umweg der Psyche zugestanden werden kann. Daher könnte man auch von Psychostimulanzien sprechen, mit tröstenden Eigenschaften (Andachtskerze), selbstverherrlichenden (Macht-und Statussymbole) beunruhigenden (Unglückssymbole) oder ängstigenden (Gewalt- und Todessymbole). Ihre Wirkung ist sehr empfängerabhängig, denn es soll auch Menschen geben, die schwarze Katzen mögen und eine sehr glückliche Zeit mit ihnen verbringen.

Wie stark die Wirkung der Symbole ist, lässt sich durch ignorante Denkart ermitteln, sozusagen im Selbstversuch mittels mentaler Gegenprobe. Z.B. liesse sich mit Weihwasser Kaffee kochen, aber wer tut das? Es wäre ein Tabubruch, blasphemisch, selbst wenn niemand anders je davon Kenntnis erhielte. Im Mittelalter wurde Hostienfrevel mit schwersten Strafen belegt.

Die Empfehlung an die Bundesländer, keine Kfz-Kennzeichen herauszugeben, welche mit dem Dritten Reich in Verbindung gebracht werden können, darunter auch die 18, da der erste und achte Buchstabe im Alphabet für A und H stehen und damit als Adolf Hitler gelesen werden könnten, zeigt den historischen Wandel bezüglich der Interpretation, wenn wir uns an die Prim und die Oktav erinnern.   

Wer sich ans Rationale hält und sich nicht der Hoffnung auf ein Ewiges Leben hingibt – generell ist die Verarbeitung des Todes ein zentrales Thema der Religionen – schätzt den Vorteil, sich nicht mit Spekulationen bzgl. des Jenseits beschäftigen zu müssen. Was der eine als Zeugnis für die Allmacht Gottes betrachtet, ist für den anderen Hokuspokus. Einige Etymologen leiten den Begriff ab von dem aus der Ferne schlecht verstandenen lateinischen Ausspruch: „Hoc est enim corpus meum“ womit wir wieder bei der Eucharistie und beim Allerheiligsten angelangt wären.

Der plattdeutsche Dialekt findet für all diese Kompliziertheiten eine einfache Zusammenfassung: „Dem een sin Uhl is dem annern sin Nachtigall“. Die Eule steht für Weisheit, die Nachtigall für die Schönheit des Gesangs. Man könnte auch in beidem etwas sehr Schätzenswertes finden, denn Verschiedenartigkeit ist noch kein Gegensatz. Daher ergibt sich ein Entweder-Oder-Entscheid aus der Sache nicht zwingend.

 

© 2018 Aurelius Belz