Politisches Umfeld
Zum Forschungshintergrund
Für sich genommen macht kulturgeschichtliche Forschung einen unproblematischen Eindruck. Wenn das akademische Bearbeitungswerkzeug vorhanden ist, fällt die Entscheidung hinsichtlich des Bearbeitungegenstandes und nach Lektüre der bereits vorhandenen Literatur geben Quellenlage und Befund die Richtung vor.
Hinsichtlich des Tonsystems kommt die Tatsache zur Hilfe, dass sich an der Physik der Saitenschwingung über die Jahrhunderte nichts ändert und lediglich die Bezeichnungen variieren. Eine Durchnummerierung ist als solche klar erkennbar, ebenso eine Gliederung nach Alphabet. Vor diesem Hintergrund springen Abweichungen besonders ins Auge, z.B.:
- C-Dur als Ausgangstonart ohne Vorzeichen
- von C - nicht von A! - geht es im Bassschlüssel "abwärts", im Violinschlüssel "aufwärts"
Schaum Tastenfinder (Detail)
- der Name Oktav für ein Intervall, welches aus 5 Ganzton- und zwei Halbtonschritten besteht - in anderer Lesart aus 12 Halbtonschritten. Mathematisch käme man in beiden Varianten auf 6! Siehe auch Video VII: "Wie die Oktav zu ihrem Namen kam" .
- die Bezeichnung Prim mit dem Wert Null.
Für derartige Abweichungen muss es Gründe geben.
Kirchlicher Einfluss
Gleiches gilt für Analogien, welche auf einen anderen Kontext weisen, z.B. die Vorstellung von hohen und tiefen Tönen - die es realiter gar nicht gibt - sowie die Bezeichnung Tonleiter. Aus dem kulturhistorischen Zusammenhang wird deutlich, dass wir es mit einer Analogie zur Jakobsleiter zu tun haben. Die Befunde werden durch Schriftquellen gestützt, auch durch solche der Aufklärer, welche sich gegen jedweden Einfluss der Kirche zur Wehr setzten. Musikalische Erfordernisse und theologische Interpretation werden so unterscheidbar - auch Glaubensbekenntnis (z.B. J.S. Bach, s. Blog C3) und Indoktrination. Die Blog-Beiträge und Video-Präsentationen dieser Page widmen sich mehrheitlich den unterschiedlichen Facetten sowie der Kontextualisierung dieser Phänomene.
Nun liegen die Ergebnisse vor, gelangen an politische Entscheidungsträger und prallen dort ab. Darüber - und über die Debatte bezüglich der Akzeptanz religiöser Symbole in Klassenzimmern - berichten die Beiträge B13 und B14 sowie der Menu-Button: “News”. Mit der Anerkennung der Resultate wird es demnach problematisch, insbesondere in juristischem Sinne, sind es doch allein die überlieferten Zeugnisse, die ein Kulturerbe ausmachen.
- Wem steht es zu, zensierend über historische Tatsachen zu befinden und damit zugleich über die Verständnisgrundlage eines Schulfachs - bei gleichzeitiger Notenvergabe?
- Wie verhält es sich mit den Lehrplänen? Darf eine Generation der anderen Wissen vorenthalten?
- Welchen Konflikten werden Migrantenkinder ausgesetzt, deren Eltern und Lehrer?
Die kirchlichen Traditionen der Schweiz
Die historisch christliche Verankerung der Schweiz ist an zwei Punkten besonders augenfällig: an der zum Schutz des Papstes seit 1506 abgestellten Leibgarde - jeder Gardist leistet einen Schwur, nötigenfalls mit dem Einsatz seines Lebens für dessen Sicherheit einzustehen,
Vereidigung der Päpstlichen Schweizergarde
zudem an der Architektur des Parlamentsgebäudes mit dem an Sakralbauten orientierten kreuzförmigen Grundriss der Kuppelhalle und dem vergoldeten Kreuz auf der Dachlaterne.
Dachlaterne des Parlamentsgebäudes in Bern
Die Schweiz heute
Zum Selbstverständnis der Schweiz gehören ihre Neutralität sowie ihr Engagement hinsichtlich politischer Konfliktlösungen und nachdem religiöse Bekenntnisse als Provokation aufgefasst werden können, schien es offenbar angebracht, die historisch vorhandenen Symbole neu zu interpretieren.
Die nachfolgenden Piktogramme machen in ihrer Erläuterung aus dem christlichen Kreuz ein "Plus" - d.h. man ist um eine positive Konnotation des Leidenswerkzeugs bemüht - und ersetzen die Taube des Hl. Geistes durch die Friedenstaube Pablo Picassos.
Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA
Pablo Picasso, Friedenstaube 1961
Der Beweggrund für die Übertünchung des Kulturerbes war die Kandidatur der Schweiz für den UNO-Sicherheitsrat. Andere Regierungsformen würden auf andere Weise mit dem vorhandenen Denkmalbestand umgehen. Daher muss ein beträchtlicher Teil der kulturhistorischen Arbeit in die Sicherung des Forschungsgegenstandes gegenüber dem jeweiligen Zeitgeist investiert werden, dessen Interessen woanders liegen. Doch irgendwann ist die Zeit dafür reif, dass sich die Gesellschaft den Dingen mit wiedererlangter Sachlichkeit zuwenden kann. Zumindest ist mit der Aufnahme dieser Page in das Web-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek - welche aufgrund des besonderen Bezuges zur Schweiz erfolgte - ein erster wichtiger Schritt getan (vgl. Blog B 26: Eine erste offizielle Wertschätzung?).
Speziell das strategische Denken trachtet danach, die Harmonieliebe, da sie als ausgesprochene Schwäche betrachtet wird, frühzeitig beiseitezuschieben, liegt doch der Fokus auf der zielorientierten Durchsetzung eigener Interessen. Daher sind es regelmässig die leidvollen Erfahrungen der Kriege, welche der Harmonielehre ihre Bedeutung zurückgeben.
Gegenwartsbezug: Der Angriff auf die Ukraine
Sowohl in Bezug auf das Erstreben politischer Vormachtstellung als auch in Bezug auf den Umgang mit der Natur ringt das strategische Vorgehen in diesen Tagen um seinen Status als Erfolgsmodell - und wird ihn in beiden Fällen auf beschämende Weise verlieren. Wir sind bereits Zeugen eines humanitären, wirtschaftlichen und ökologischen Desasters. Zu seinen Begleiterscheinungen gehören: Geschichtsklitterung, FakeNews und Repression. Bereits die pauschalisierende Behauptung, dass Friedensliebe den schwachen Menschen charakterisiere, erweist sich als blanke Polemik, denn Zivilcourage verlangt den mutigen Alleingang angesichts einer Bedrohungslage mit unabsehbaren Folgen. Die Aktion von Marina Owsjannikowa im russischen Staatsfernsehen am 14.03.2022 mag auch deshalb als Beispiel dienen, da sie - mit einem ukrainischen Vater und einer russischen Mutter - wie Ἁρμονία (Harmonias Vater Ares war Gott des Krieges, ihre Mutter Aphrodite Göttin der Liebe) - ein verbindendes Element in personam darstellt und von daher über eine besondere völkerverbindende Qualifikation verfügt.
Die Aktion von Marina Owsjannikowa im russischen Staatsfernsehen. Ihr Plakat, welches die Flaggen der Ukraine und Russlands zeigt, ist beschriftet mit den Worten: "Kein Krieg / Stoppt diesen Krieg / Glaubt der Propaganda nicht / Hier werdet Ihr belogen / Russen gegen Krieg"
Die verschiedenen Gesichter der Neutralität
Da Neutralität stets in Relation zu etwas anderem-, genauer: zwischen etwas anderem steht, ist ihre Bedeutung von den Rahmenbedingungen abhängig und darum immer wieder Gegenstand von Diskussionen.
- In der Regel ist mit politischer Neutralität gemeint, von einer Parteinahme abzusehen, um am Verhandlungstisch eine Mediatorrolle einnehmen zu können. Der Standort dieser Form der Neutralität befindet sich - wie aus der Bezeichnung Mediator (Mittler) hervorgeht - bildlich gesprochen in der Mitte.
- Dies setzt jedoch voraus, nicht selbst angegriffen zu sein, denn dann wäre der Verzicht auf Parteinahme für sich selbst vom Ergebnis her mit Selbstmord gleichzusetzen, wenn es auch der Angreifer ist, der den Vorgang ausführt. Vor Übergriffen schützt am Ende nur Bewaffnung.
- Wird eine Regierungsform, der man sich selbst verpflichtet fühlt, in einem anderen Staat angegriffen, ist das Beharren auf Neutralität mit unterlassener Hilfeleistung gleichzusetzen und bedeutet das Billigen der Zertrümmerung eigener Werte.
- Konfrontiert mit der Ungerechtigkeit gegenüber einem Schwachen wird der Verzicht auf Parteinahme zur Gleichgültigkeit. Desmond Tutu ging noch weiter, indem er formulierte: "Wenn du in Situationen der Ungerechtigkeit neutral bist, hast du die Seite des Unterdrückers gewählt."
- Neutralität beinhaltet auch, aus Konflikten nachweisbar keinen Nutzen zu ziehen. Diesbezüglich ist die Schweiz mehr als einmal in Kritik geraten.
- Neutralität gegenüber dem Menschsein ist für jeden, der selbst Mensch ist, nur eine abstrakte Grösse. Mit Neutralisierung eines Menschen ist seine Eliminierung gemeint, weil er dann definitiv ausserstande ist, sich einzusetzen.
- Der von Bundespräsident Ignazio Cassis 2022 in Davos vorgestellte Begriff der "kooperativen Neutralität" führt zu weiterer Verkomplizierung, erhöht den in Demokratien ohnehin erforderlichen Diskussionsbedarf unnötig und führt von der eigentlichen Aufgabe weg. Im Kern der Sache geht es um fairness im global play. Wer mitspielt, kann - in Analogie zum Fussball - nicht zugleich der Unparteiische sein. Diese Aufgabe obliegt der UNO, in der sich 193 Staaten zur Sicherung des Weltfriedens zusammengeschlossen haben. Die Partikularinteressen heben sich dort gegeneinander auf, wodurch zumindest eine Annäherung an Unparteilichkeit gewährleistet wird. Jeder Staat kann Support leisten, indem er sich zum humanistischen Ideal der Harmonielehre bekennt, denn wer das Ganze im Blick hat und sich für das Gegenüber interessiert, kann in strategischen Alleingängen keinen Nutzen erkennen.
Für einen Staat mit Weltruf für Präzisionsinstrumente wie die Schweiz wäre es an der Zeit, in einer derart wichtigen Angelegenheit einen präzisen Begriff zu wählen, welcher zum inneren Gefüge einer direkten Demokratie passt. Der Begriff Neutralität, hochgepriesenes Marketing-Mantra mit dem Nimbus der Makellosigkeit, bedeutet für sich genommen gar nichts (von lateinisch ne-utrum „keines von beiden“), Synergieorientierung hingegen tatsächlich ein Plus für den Frieden.
Der zivilisatorische Quantensprung könnte nur geschehen aufgrund der kollektiven Annahme harmonikaler Basics. Der Vorgang sukzessiver Vertrauensbildung wurde zwischen den “Erbfeinden” Frankreich und Deutschland wie auch an vielen anderen Orten der Welt auf beeindruckende Weise vorgelebt, was wiederum nicht bedeutet, auf militärische Rückversicherung verzichten zu können.
Warum blicken wir in die Vergangenheit?
Weil dort die Antworten für die Zukunft liegen
Die Schweiz als Friedensaktivistin
Die Vorstellung einer bewaffneten Friedensbringerin und Beschützerin der Künste wäre jedenfalls nicht neu.
Bewaffnete Minerva mit der Eule der Weisheit. Auf dem Schild zur Abschreckung das Haupt der Medusa. Inschrift: “Arma oleamque vides? Hominum o si pectora quantum urit amor belli, pacis et urat amor!” “Siehst du die Waffen und den Olivenbaum? Oh, wie sehr brennt die Liebe zum Krieg in den Herzen der Menschen, und auch die Liebe zum Frieden!” 1615/1620, Peter Candid (Werkstatt), Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München.
Minerva verteidigt die 7 Freien Künste gegen den Kriegsgott Mars. Im Hintergrund eine brennende Stadt. Aus den Wolken nähert sich der Götterbote Merkur, um Minerva den Siegeslorbeer und den Palmzweig des Friedens zu überbringen. Cembalobemalung von Hieronymus Franken III (*1611-†nach 1661), Düsseldorf, Privatbesitz. Hier bleibt Minerva nicht neutral, sondern greift zu den Waffen.
Die zweifellos Minerva-inspirierte Helvetia mit Schild und Speer. Münzbild auf dem Zweifrankenstück nach einem Entwurf von Albert Walch (1816-1882). Die Sterne symbolisierten die damalige Zahl der Kantone.
Helvetia mit Panzerfaust
Wie weit darf eine bewaffnete Verteidigung des Friedens gehen? Es bedarf der Freiheit, eine der Situation angepasste Entscheidung zu fällen. Die Bewaffnung unterscheidet sowohl Minerva als auch Helvetia von einer hilflosen Pazifistin. Die beim Angreifer entstehende Unsicherheit bezüglich der zu erwartenden Gegenwehr erhöht die abschreckende Wirkung. Allein ein Medusenhaupt auf dem Schild genügt hierfür nicht mehr.
Die Situation 2024
Bundesrätin Viola Amherd, Chefin des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, in Zeiten der Diskussion um die angemessene Bewaffnung.
Grundlagen zur Erstellung eines globalen Weissbuches
Einem enormen Potential an strategischem Denken und Handeln steht ein Potential an Synergiefähigkeit gegenüber. In welcher Relation in globaler Betrachtung genau, wäre noch zu ermitteln und in gleichem Zusammenhang wären die Kräfteverhältnisse zueinander zu berücksichtigen. Hier genügt einmal die Feststellung, dass sie alles andere als paritätisch sind. Wenn Synergiekompetenz das Ziel ist, ist die Ausgangssituation denkbar ungünstig.
Während traditionellen Weissbüchern das Anliegen zugrunde liegt, Wege aus der Misere aufzuzeigen, gebietet es eine vorurteilsfreie Herangehensweise, auch die Möglichkeit des Scheiterns mit einzukalkulieren, ohne deswegen vorwegnehmend Weltuntergangsstimmung heraufzubeschwören. Die Schäden der Kriege sind zu beziffern, ebenso die menschengemachte Schädigung des Lebensraumes. Über die Details wird aus bekannten Gründen gestritten, wobei manche einen Ausweg darin sehen, andere Planeten für den Menschen nutzbar zu machen. Allerdings wäre die Ursache damit nicht angegangen, da der Mensch seine Eigenschaften überallhin mitnimmt.
Wie müsste die Aufgabe also lauten?
Die Aufgabe wäre beschreibbar als Selbst-Domestizierung der Spezies homo sapiens. Der Vergleich mit dem Tierreich mag einer Herabwürdigung gleichkommen – ein Herab von der Hybris und Selbstüberschätzung – da der Mensch niemand anderen über sich wähnt als Gottheiten, doch wenn ihm letztere nicht zu geordnetem Zusammenleben verhelfen, muss er notgedrungen bei sich selbst anfangen.
Im Tierreich geschieht Domestizierung mit einer Kombination aus Zwang und Belohnung und gelingt nicht bei jeder Spezies. Auf Gefahren reagiert der Instinkt sofort ausweichend, an wohltuende Neuerungen, z.B. Futterquellen, gewöhnt er sich rasch. Ist ein umschlossener Lebensraum gegeben, wird der Lernprozess zum Zwangspass. Als Alternative zur Anpassung bietet die Natur das Aussterben der Art.
Den Strategieorientierten muss das nicht interessieren, solange er sich selbst über Wasser halten kann, während Artgenossen ertrinken, verhungern oder verarmen. Zugrunde liegt ein Willensakt, geplantes vorsätzliches Tun, kein Mangel an Kenntnis. Daher kann Bildung nur bedingt Gegensteuer geben. Die Belohnung für sein Handeln holt er sich selbst ab - nicht selten aus Unersättlichkeit. Auf welches Recht er sich beruft, ist dabei nicht von Belang. Gerne wird auf die genetische Beschaffenheit verwiesen - der Mensch sei eben so.
Diesem Treiben versuchen Demokratien mit gemischtem Erfolg, Einhalt zu gebieten, denn das strategische Denken hat seine Wurzeln im legalen Bereich. Strategen werden geschult, Durchsetzungskompetenz gefördert. Als Gegenreaktion - um der einseitigen Weisungsintention Grenzen zu setzen - bilden sich Kontrollorganisationen, Gewerkschaften und Oppositionsparteien. Spätestens dann, wenn einem ganzen Volk die Macht entzogen wird, folgen Demonstrationen und Revolutionen. In juristisch-theoretischer Denkart endet das Recht des Einzelnen dort, wo das des anderen in Gefahr gerät. Die Ist-Situation zeigt auf, wie weit Theorie und Praxis auseinanderliegen.
Ein Ansatzpunkt liegt dort, wo Einfluss auf die Heranwachsenden genommen werden kann. Domestizierung und Zivilisierung finden in der Erziehung statt, wobei Eltern nur weitergeben, was sie selbst für angemessen halten und auch selbst vermögen. Mit der Entlassung ins Erwachsenenalter und in den globalen Kontext schlägt die Stunde der Wahrheit. Nicht selten ist zu beobachten, dass eine Radikalisierung erst viel später eintritt, sodass selbst eine vorbildliche Erziehung keine Sicherheitsgarantie darstellt. Wo man hinsieht, stossen wir auf Einflussfaktoren, die alle Bemühungen zunichtemachen können.
Grundlegendes Element von Erziehung und Bildung wäre, dass die Heranwachsenden anhand eines anschaulichen Modells mit der Problemstellung altersgerecht konfrontiert würden. Und dieses Modell müsste bei gelungener Vermittlung einen Belohnungsaspekt beinhalten.
In seinem Roman Flegeljahre (erschienen 1804) legte Jean Paul einen Vorschlag vor, denn ein verklausuliertes Testament fordert, dass der Bauernsohn namens Walt sein Erbe erst antreten kann, nachdem er sich als Klavierstimmer, Gärtner, Notarius, Korrektor, Buchhändler, Landschullehrer und Pfarrer bewährt hat. Das Klavierstimmen vermittelt ihm nicht nur Kenntnisse der Harmonielehre. Er muss in der Praxis unter Beweis stellen, dass er Konsonanzen und Dissonanzen zu einem geordneten Ganzen fügen kann. Ebenso erlaubt ein Gärtner kein wildes Ins-Kraut-schiessen, schätzt jedoch Artenvielfalt. Ein Notarius regelt Besitzverhältnisse, ein Korrektor bringt Ordnung in Schriftstücke. Buchhändler, Landschullehrer und Pfarrer bringen Bildung und Sittlichkeit unter das Volk.
Angesichts der Vielzahl der zu bewältigenden Aufgaben könnte man gleich noch weiter gehen und einen Rollentausch fordern, der den Verursacher mit der Wirkung seines eigenen Handelns konfrontiert. Ein verwandter Sinn steckt in der Einführung von Legislaturperioden, nur wird der Weg nicht konsequent zu Ende beschritten. Das würde bedeuten, selbst dort Aufstellung nehmen zu müssen, wo zuvor die Zielscheibe war. Empathie-Defizite würden auf diese Weise zuverlässig ausgeglichen, gemäss der in vielen Kulturen zu findenden goldenen Regel: “Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu!” Es würde ausreichen, eine solche Rochade von politischen Entscheidungsträgern zu verlangen. Eine musikalische Entsprechung findet sich, wo Melodieführung und Begleitung in ein- und derselben Stimme einander abwechseln.
Mögen diese Ausführungen im politischen Bereich vom derzeitigen Standpunkt aus gesehen auch fern der Umsetzbarkeit liegen, empfiehlt sich ein Pragmatismus, der die Akzeptanz einer anderen Form der Staatsführung unter Beweis stellt: Harmonielehre im Grossformat gewissermassen. Multipolarität ist der im europäischen Weissbuch verankerte Begriff. Die künftige Einigung auf etwas Gemeinsames ist dadurch nicht ausgeschlossen, liegt doch auch der Multipolarität die Einsicht zugrunde, dass es mit strategisch-imperialistischen Beutezügen und verdeckten Infiltrationen ein Ende haben muss. Erst wenn es gelingt, Abschreckung durch handlungsleitende Einsicht zu ersetzen, ist der Arterhalt gewährleistet und die Bezeichnung homo sapiens angemessen.
Es kann als Bestätigung der bisherigen Ausführungen gesehen werden, dass sich der Gemeinschaft verpflichtete Institutionen wie die Vereinten Nationen, der Internationale Gerichtshof sowie die UNESCO bei Autokraten keiner sonderlichen Beliebtheit erfreuen, weil sie Anforderungen stellen, für die sich letztere nicht qualifiziert haben. Die gerne geübte Kritik an diesen Institutionen sowie das Bestreben, sich über sie hinwegzusetzen, haben tendenziell nichts mit den mangelhaften Ergebnissen zu tun, die man ihnen vorhält und selbst mitverursacht, sondern mit der Einseitigkeit eigener Strategieorientierung. Der alternative Austragungsort von Konflikten ist das Schlachtfeld.
Selbst eine gänzlich auf Synergie ausgerichtete Gruppierung wie ein Orchester akzeptiert einen Dirigenten als Koordinator, der die unterschiedlichen Klang-Charaktere wertschätzt. Überall auf der Welt stellen Menschen unter verschiedenen Regierungsformen unter Beweis, dass sie ebenso zur Zusammenarbeit fähig sind, und die Befähigung als solche steht in keinem Zusammenhang mit Nationalitäten, Religionen oder ethnischen Gruppen. Allerdings zählen diese zu den zahlreichen Einflussfaktoren hinsichtlich des Entscheids in die ein- oder andere Richtung. Am Ende unterliegt alles, was der Mensch tut, seiner eigenen Verantwortung.
Es ist von kulturgeschichtlicher Relevanz, dass die Symbolik des Weltgerichts im abendländischen Tonsystem enthalten ist und damit auch die Vorstellung, dass der Mensch eines Tages zur Verantwortung gezogen wird. Die Zurückweisung des Kulturerbes ist seit 1793 politische Realität.
© Aurelius Belz 2021/22/25