Blog

12.01.2020

B23 Medien und Bildungsinstitutionen auf Abwegen

Appell an die Verantwortung

 

Die Zerstörung von Kulturgütern wird völkerrechtlich als Kriegsverbrechen eingestuft. (UN-Resolution 2347)

 

Wie ist es dem gegenüber zu beurteilen, wenn fundamentale kulturgeschichtliche Zusammenhänge aus vorgeschobenen Gründen nicht medial bekannt gemacht- und nicht in die Lehrpläne aufgenommen werden?
 

Welches sind die vorgeschobenen Gründe? Hier einige Beispiele:

"Ich bin überzeugt: für akademisch interessante Stoffe wie diesen ist unser Medium zu oberflächlich." Redaktionsleiter SRF Kulturplatz, Mail vom 13. März 2015 

"Eine Implementierung in den Lehrplan ist eine Goliath-Aufgabe und eher unwahrscheinlich." Direktion für Bildung und Kultur des Kantons Zug, Mail vom 08. Mai 2015

"Besten Dank für Ihren Beitrag. Leider können wir ihn im Tagesanzeiger nicht publizieren; die musikalischen Erläuterungen sind zu technisch, als dass sie in eine Tageszeitung passen würden." Mail der Redaktion TA-Kultur vom 4.12.2016

"Wir haben beim Feuilleton und bei Meinung und Debatte abgeklärt, ob eine Publikation möglich wäre. Aus Platznot müssen wir Ihnen nun absagen." NZZ Leserbriefe, Redaktionssekretariat, Mail vom 15.12.2016

"...aufgrund der religionspolitisch aufgeheizten Zeiten", DIE ZEIT, Hamburg, Mail der Redaktion vom 28.08.2017 

"Die wissenschaftlichen Erkenntnisse fliessen mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung in Politik und Lehre ein und wir sehen keinen akuten Handlungsbedarf." Departement Bildung, Kultur und Sport, Aargau, Mail vom 30. Mai 2018 

"...weil das von Ihnen vorgeschlagene Thema doch sehr spezialisiert ist"  SRF Redaktionsleiter, Mail vom 7. Januar 2019

"Wir haben den Auftrag, Programme zu produzieren und zu programmieren, die bei aller kulturellen Verpflichtung doch ein breites Publikum ansprechen." SRF Redaktionsleiter, Mail vom 7. Januar 2019

"Bei Bedarf werden wir uns wieder bei Ihnen melden" Fachkoordinator Schulpraktisches Instrumentalspiel, Mail vom 5. Mai 2019

"Natürlich soll in der Volksschule auch das Wissen um die Macht und den Einfluss der Kirche vermittelt werden, allerdings nicht in dem von Ihnen geforderten spezifischen Bereich." Bildungsdirektion Zürich, Volksschulamt, Mail vom 21. Mai 2019

"Jedoch besteht leider keine Grundlage, diesen Bereich zu fördern oder ein Empfehlungsschreiben auszustellen." Bundesamt für Kultur, Schreiben vom 24. März 2020

 

Welches sind die fundamentalen Zusammenhänge?

Im Abendland haben wir gelernt, uns musikalisch innerhalb eines gegebenen akustischen Korridors zu bewegen. Das betrifft jeden, der dort irgendwie Musik ausübt oder ein Liedchen trällert.

Die abendländische Musik ist von der arabischen sehr einfach unterscheidbar und der Bosporus markiert die Grenze.

Der symbolische Gehalt der Musik - um dessen Wiederentdeckung es hier geht - ist frühchristlichen Ursprungs und wurde zum wichtigen Bestandteil des christlich-mittelalterlichen Weltbildes. Es finden sich sehr viele vergleichbare Bezüge zur Hl. Schrift in Tonsystem, Musik, Architektur und Kunst, so dass wir von einer Konkordanz der Künste sprechen können. Parallelen finden sich in Liturgie, Brauchtum und Volksfrömmigkeit. Bis in die Zeit J.S. Bachs und sogar noch darüber hinaus galt die Musik als Geschenk Gottes - als ob sie unmittelbar vom Himmel käme - und genoss daher höchste Wertschätzung. So und nicht anders wurde es dem Volk vermittelt.

Rosette eines Chitarrone, Padua 1609,
Gottvater im Paradiesgarten, eingeflochtene Kreuzform,
4 Herzen stehen für die 4 Evangelisten,
8 gespiegelte Felder für die 8 Seligkeiten,
Ungarisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. 1951.46

Diese Perspektive einmal anzunehmen ermöglicht besonderen Zugang zum Wahrhnehmungsmodus früherer Zeiten. Auch wer die gravierende Unlogik der Intervallbezeichnungen verstehen möchte kommt nicht umhin, unser Tonsystem aus der spirituellen Perspektive seiner Entstehungszeit zu betrachten. 

Beispiele:

Wozu braucht man eine "kleine Zwei"? (kleine Sekund) 

Wozu braucht man eine "grosse Drei"? (grosse Terz)

Warum besteht eine Oktav (von lateinisch octavus: der achte) aus 5 Ganzton- und 2 Halbtonschritten, obwohl 5 Ganze und 2 Halbe 6 ergeben?

Die Musikpädagogik hätte die Aufgabe, hierfür eine Erklärung zu liefern. Die Inhalte dieser Page, welche die christliche Symbolik als Kulturerbe einbeziehen, machen dies möglich. Die zahlreichen Beiträge im Blog ergänzen sich mit den Video-Präsentationen zu einem Gesamtbild wie Teile eines Puzzles. Die zugrunde liegende Arbeitsmethode ist polydisziplinär. Daher reicht eine Verweildauer von 15 Minuten (gemessener Mittelwert) bei weitem nicht aus, um einen Überblick über die Vielzahl der vorgelegten Belege zu erhalten. Nur durch einen Exkurs in die Physik, Geschichte, Kunstgeschichte und Theologie wird unser Tonsystem verständlich, doch nicht nur das: die gesamte abendländische Kultur wird mit ihren zahlreichen interdisziplinären Vernetzungen nur auf diesem Wege erschlossen.

Die Konkordanz der Künste ist keine Eigenschaft der Künste - obschon es das christliche Weltbild anders vermittelt und auslegt, als ob es sich um Gaben des Hl. Geistes bzw. um Gaben Gottes handele, um die corporate identity des Weltherstellers, wenn man so will - sondern ein Beleg für die Einflussnahme der Kirche, denn jegliche Übereinstimmung mit biblischem Gehalt ist erkennbar menschengemacht. Musik- und Kulturwissenschaft analysieren die Vorgänge im historischen Verlauf und machen die Zusammenhänge transparent. Es gehört daher zu den aufklärerischen Pflichten, der Gesellschaft die Instrumentalisierung der Künste bewusst zu machen. Insbesondere das Zusammenspiel von Sakralarchitektur und abendländischer Musik verdient Aufmerksamkeit, da in die sinnliche Simultanwahrnehmung von Grossraum und Tonkunst (Orgeln) unermessliche Summen investiert wurden, als ob das Reich Gottes auf diesem Wege vorführbar gemacht werden könne.

Barcelona, Sagrada familia, Deckengewölbe

Hinzu kommen bildliche und plastische Darstellungen sowie Glasmalereien. In Kombination sind die Künste besonders wirkungsmächtig gegenüber der Psyche des Menschen und in der Lage, tief zu beeindrucken und emotional zu bewegen. Prägungen finden bekanntermassen schon in früher Kindheit statt und Unwissenheit führt geradewegs in Abhängigkeit.  

Kulturgüter versetzen uns in die Lage, aus vergangenen leidvollen Erfahrungen zu lernen. Daher richtet die Ignoranz derselben wie auch deren Zerstörung grossen Schaden an und bremst den zivilisatorischen Fortschritt. Bei der Zerstörung handelt es sich gemäss UN-Resolution um ein Verbrechen, bei der Ignoranz um grobe Fahrlässigkeit gegenüber gegenwärtigen und künftigen Generationen - um mutwilligen Wissens-, Freiheits-, und Identitätsentzug. Dabei enthält speziell die Harmonielehre jenen Stoff, der dazu geeignet ist, das strategische Denken zu hinterfragen, den interkulturellen Dialog zu fördern und Kriege zu verhindern.

"Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Friede im Geist der Menschen verankert werden." [Aus der Präambel der Verfassung der UNESCO]. Die Kernaufgabe ist es, wertschätzend und zugleich differenzierend mit unterschiedlichen Weltanschauungen umzugehen, speziell hier: mit jenen der abendländischen Konfessionen und jenen der Aufklärung. Die Geisteswissenschaft nimmt einen beobachtenden Standpunkt ein, da sie nicht das Ziel verfolgt, ein eigenes Weltbild zu entwerfen. Vielmehr beschreibt sie die vorhandenen Weltbilder - stets im Rahmen einer kritischen fachlichen Diskussion - so, wie sie sich zeigen und wie sie sich im Laufe der Geschichte verändern. Die Freiheit und das freie unbeeinflusste Denken des Menschen haben hierfür oberste Priorität. 

Die Wissenschaft steht im Dienste der Gesellschaft und arbeitet nicht gegen sie. Daher gilt auch hier:

UNITE BEHIND THE SCIENCE 

 

© Aurelius Belz 2020