C5 Das Virginal der Dorothea von Lothringen. Original oder Fälschung?
Die Zahlen in fettgedruckten eckigen Klammern verweisen auf die Folien der zugehörigen Video-Präsentation XVIII.
Nach über 30 Jahren gelangte ein italienisches Virginal aus Schweizer Privatbesitz erneut in den Blick der Wissenschaft. Es handelt sich um ein Instrument von Pasquino Querci, angefertigt in Florenz im Jahre 1610. [1-2]
Bei Donald H. Boalch[1] findet sich folgender Eintrag:
«Querci, Pasquino, Maker of harpsichords, spinets and polygonal virginals in Florence; fl. 1610-25. Instruments 4 and 6 below are listed in Franciolinis catalogues, and nos. 2 and 5 probably passed through his hands.
Surviving instruments by, od ostensibly by, him
- 1610, Chicago, George F. Harding Museum, Polygonal Virginal inscribed Pasquinus Quercius, Florentinus fecit AD. MDCX. Restored by Berceau Royal,1927”
Die Bemalung des Instrumentendeckels wurde nicht einmal erwähnt, doch bestätigt das Etikett des Restaurators, dass es sich um genau jenes Instrument Nr. 1 handelt. [3-4]
Des Weiteren fand sich im Innern ein Schreiben von Luigi Ferdinando Tagliavini (*1929-†2017) - italienischer Cembalist, Organist und Musikwissenschaftler - vom 03. August 1989 an den nachfolgenden Besitzer, welcher es in einem Zürcher Auktionshaus ersteigert hatte. Darin erwähnt er, dass vier der fünf bei Boalch verzeichneten und noch vorhandenen Instrumente teils sicherlich, teils vermutlich, durch die Hände des berüchtigten Antiquitätenhändlers und Fälschers Leopoldo Franciolini (*1844-†1920)[2] gegangen seien und setzt hinzu: ”Ihr Instrument ist in den Franciolini Katalogen nicht verzeichnet und ist zweifellos ein echtes italienisches Instrument. Wahrscheinlich ist auch die Inschrift auf dem Vorsatzbrett (mit Autorennamen und Datum) authentisch.” Dem Gemälde widmet er keine Silbe. [5]
Insofern – aufgrund des Wortes «wahrscheinlich» – besteht Anlass, bei der Untersuchung des Deckelgemäldes, welches bisher noch nicht Gegenstand von Untersuchungen war, besondere Vorsicht walten zu lassen, denn sicher ist sich Tagliavini nicht, zumal es sich auch bei den Zusammenstellungen Franciolinis, da er Italiener war, um «echte italienische Instrumente» handelt. Das Vorsatzbrett mit dem Namen, dem Ort und Datum kann mit 2 hölzernen Stiften, welche nicht zu den übrigen Zierknöpfen aus Elfenbein passen, leicht entfernt- und demzufolge ebenso leicht ausgetauscht werden. Bei anderen Querci-Instrumenten sind Elfenbeinknöpfe hierfür verwendet worden.[3] [6] Gewiss können solche Kleinteile verloren gehen, doch selbst wenn das Vorsatzbrett als solches authentisch ist, sagt das über das übrige Instrument noch nichts. Die Jahresringstruktur des für die Leiste verwendeten Nadelholzes hebt sich deutlich vom übrigen Instrument ab und die hellere Färbung des unteren Teils unterhalb einer Schmutzkante weist darauf hin, dass es über lange Zeit an einer anderen Stelle platziert war. Edwin Ripin berichtet, dass das Vertauschen historischer Bestandteile bei Franciolini zur gängigen Praxis gehörte[4], doch hat Tagliavini diesen Hinweis offensichtlich nicht beachtet und bleibt eine Begründung für seine Einschätzung schuldig. Um eine Expertise handelt es sich daher nicht.
Wenn wir im Folgenden den Begriff Fälschung weiterhin verwenden, so ist eben jener Umstand mit zu bedenken, dass originale Bestandteile Verwendung fanden und die Übermalung eines Deckelgemäldes durchaus auch aus Gründen persönlicher Vorliebe oder in Anpassung an einen veränderten Zeitgeschmack stattgefunden haben kann. Auch Neuzusammenstellungen sind durchaus ohne Täuschungsabsicht denkbar. Zahlreiche Instrumente präsentieren sich heute mit Gestellen und/oder Gemälden aus einer anderen Zeit. Dem gegenüber strebt der Fälscher eine höherwertigere Einschätzung an, nicht selten verbunden mit dem Vortäuschen eines höheren Alters. Die im Falle Franciolinis festgestellte betrügerische Absicht führte zur Verurteilung zu vier Monaten Haft und einer hohen Geldstrafe.[5]
Ansatzpunkt für eine historische Einordnung ist im Rahmen dieser Studie das Gemälde, auf dessen Bildhandlung wir uns im Folgenden einlassen.
Methodisch wird so vorgegangen, dass einzelne Bildelemente mit historischen Begebenheiten verglichen werden. Die Intention ist die, mit dem Kennenlernen der Bildaussage unter Einbeziehung des historischen Kontextes den zeitlichen Fokus sukzessive einzuschränken, um das Netz immer feinmaschiger werden zu lassen. Der Anfangsverdacht, dass es sich um eine Fälschung handeln könnte, soll dabei teils ausgeklammert-, teils mitberücksichtigt werden. Das Mäandrieren zwischen Bilderzählung und Historie spiegelt den Forschungsverlauf, der im Nachhinein nicht begradigt wurde. Analoges gilt für die Sujetbestimmung, die mit jedem hinzugezogenen Motiv an Klarheit gewinnt und erste Eindrücke korrigiert. Die Entwicklung der Wissenschaft vollzieht sich im Kleinen wie im Grossen durch kontinuierliche Widerlegung. Das soll durchaus sichtbar sein, denn das bessere Verständnis steht nicht am Anfang, sondern die offene Frage. Auf diese Weise wird der Arbeitsvorgang nachvollziehbar. Um den fachfremden Leser teilhaben zu lassen, wird der nötige Kontext einbezogen.
Nachdem es sich vom Genre her um ein Historiengemälde handelt, ist zu berücksichtigen, dass die vorgestellte Handlung durchaus auch weiter zurück liegen kann als die Datierung 1610. Entsprechend grosszügig wählen wir den historischen Blickwinkel zu Beginn unserer Betrachtung.
Das Bildgeschehen führt in eine flämische Stadt und in die Zeit des 80jährigen Krieges. [7] Angeführt von einem berittenen Kommandanten zieht ein Fähnlein Pikeniere in die Stadt ein und wird von einer Anzahl aristokratischer Damen empfangen, vor denen der Kommandant seinen Federhut zieht. Offensichtlich wird er erwartet, denn es ist bereits ein Zelt für ein offizielles Zusammentreffen vorbereitet, bewacht von einem Lanzenträger in voller Rüstung. Bürger der Stadt beobachten das Geschehen aus einigem Abstand.
Dominierender historischer Faktor war die damalige Besetzung der Niederlande durch die Spanier. Durch die Beschaffenheit der Rüstungen wird dies bestätigt.
Eine besondere Verbindung zur kämpfenden Truppe – die Befehlsgewalt – hatten vier Statthalterinnen der Niederlande. Während Margarete von Österreich und Maria von Ungarn von Kaiser Maximilian I ernannt worden waren, verdankten Margarete von Parma und Isabella Clara Eugenia ihre Ernennung der Beziehung zum spanischen König. Philip II und Philip III waren es, die sie in ihr Amt einsetzten. Ein Blick auf die Jahreszahlen verrät, dass Albrecht VII und seine Gattin Isabella Clara Eugenia die Amtsgewalt von 1598 bis 1621 gemeinsam innehatten. Nach dem Tode Albrechts führte Isabella die Amtsgeschäfte noch bis zu ihrem Tode 1633 alleine weiter.
Aufgrund ihres Bezugs zum spanischen Zweig des Hauses Habsburg hat es Sinn, einen Bildabgleich mit Margarete von Parma zu beginnen und es gibt sogleich ein Ereignis, welches gewisse Übereinstimmungen mit dem Bildgeschehen aufweist. 1559 wurde sie von Philip II den Generalständen in Gent als neue Statthalterin vorgestellt, während ihr Gatte Ottavio Farnese in Parma blieb. Lediglich eine kleine Zahl von Hofdamen begleiteten sie nach Brüssel[6]. Handelt es sich im Dargestellten um den Vorgang der Machtübergabe, zu deren Anlass sich die Kommandanten vorzustellen hatten?
Nach Auskunft der Quellen reiste Philip II kurz nach der Machtübergabe mit einer kleinen Flotte nach Spanien ab. Die an der Kaimauer fest gemachten Schiffe spanischer Bauart [8] – auf einem derselben befinden sich ebenfalls aristokratische Damen – mögen darauf hindeuten. Deren Gewänder zeichnen sich im Unterschied zu den allermeisten der Übrigen durch geschlitzte Ärmel aus. Ein Seemann hält ein Tau in den Händen, nur ist aufgrund der halb gesetzten Segel nicht zu entscheiden, ob sie gerade eintreffen oder bereit sind, abzulegen.
Auch das Motiv der abseits stehenden Bürger [9] kann in Zusammenhang mit jener historischen Begebenheit gebracht werden, denn aufgrund der brutalen Niederschlagung des Genter Aufstandes 1540 durch Karl V war eine jubelnde Begrüssung der neuen Machthaberin nicht zu erwarten, doch hatte man zumindest die Hoffnung auf eine mildere Regentschaft.
Alles Übrige erledigt die Vorstellungswelt eines Kunstsammlers, der sich die Möglichkeit nicht entgehen lassen mochte, etwas Bedeutendes zu erwerben und dem für lange Nachforschungen die Zeit fehlt. Zum Vorteile Franciolinis war auch, dass sich Musikwissenschaftler auf fachfremdes Terrain begeben, wenn sie ein Gemälde zu interpretieren und zu datieren haben. Aus gleichem Grund hatte Tagliavini die Bildausstattung des Virginals in seine Argumentation nicht einbezogen.
Zu Margarete von Parma musste ein Italiener eine besondere Beziehung haben, hatte die respektvoll «Madama» genannte Margherita d’Austria doch eindrucksvolle Spuren hinterlassen. Der Palazzo Madama und die Villa Madama in Rom tragen ihre Namen ihr zu Ehren. Und speziell ein Florentiner wird in seiner Schulzeit gelernt haben, dass die illegitime «natürliche» Tochter des Kaisers in erster Ehe mit Alessandro de Medici-, in zweiter Ehe mit Ottavio Farnese verheiratet worden war. Der eindrucksvolle Palazzo Farnese in Piacenza ist auf ihre Veranlassung zurückzuführen, ebenso der Palazzo Margherita in L’Aquila und der Palazzo Farnese in Ortona. Die Geschichte des Instruments lässt sich aufgrund der historischen Gegebenheiten dahin gehend vervollständigen, dass sie es womöglich anlässlich einer ihrer Hochzeiten als Geschenk erhielt, um es aufgrund ihrer unglücklichen Ehen später mit dem bedeutendsten Ereignis ihres Lebens – der offiziellen Amtsübernahme – übermalen zu lassen. Plausibel scheinende historische Zusammenhänge wie diese verleiten zu einer vorschnellen Zuordnung, doch geht das eigenmächtige Herstellen solcher Zusammenhänge allein auf das Konto des Betrachters.
Für einen Fälscher sind derartige Stories strategisch vielversprechend, weil er davon ausgehen kann, dass eine breite Zielgruppe von den Ereignissen Kenntnis hat und darauf «anspringt». Allein die Prominenz zählt, auf die Details kommt es weniger an. Schliesslich hatte Franciolini 6 Kinder zu ernähren. Die Tatsache, dass das Instrument kein Wappen trägt ist insofern ehrlich, als er an anderer Stelle nicht davor zurückschreckte, auch Papstwappen zu imitieren[7].
Obwohl wir im Bilde zahlreiche Elemente finden, welche im flämischen Umfeld begegnen, darunter eine Bockwindmühle [10], eine Stadtbefestigung mit Tor über einem Kanal [11], ist doch kein konkreter Hinweis auf Gent enthalten. Auch ist die wichtigste Figur dieser ersten Bildinterpretation - Philip II - da er es war, der die Macht an seine Halbschwester übertrug - im Bilde nicht zu identifizieren.
Sofern es sich um eine Fälschung handelt, konnte der Maler vom genauen Geschehen und der Lokalität keine Kenntnis haben und allenfalls Kupferstiche als Inspirationsquelle heranziehen. Mit dieser Methode, verbunden mit der Zuhilfenahme historischer Beschreibungen, kann man mit einigem Fleiss recht weit kommen, doch fällt besonders auf, dass wir in der Stadtlandschaft keine schmuckreich verzierten Giebel finden, auch keine Stufengiebel, welche für flämische Städte so charakteristisch sind. [12] Mancher mag sich über die gelangweilt-gleichgültige Haltung jenes Lanzenträgers wundern, welcher das Zelt bewacht. Auch die entspannt und dem Geschehen völlig teilnahmslos gegenüberstehenden Ritter am Eingang zur Burg. welcher mit einem Baldachin für den Einzug der Herrschaft geschmückt wurde, geben der Skepsis Nahrung. [13]
Ein Faktor für sich sind die stereotypen Figurenwiederholungen. Das gilt bei näherer Betrachtung auch für die Gesichter, durch die Geschwister- wenn nicht gar Zwillingsnaturen entstehen. Im Vergleich mit den Virginalen der Giulia da Varano, Herzogin von Urbino oder der Königin Elisabeth I von England [14-15] haben wir es – auch aufgrund der fehlenden Schnitzereien und mit Blick auf die Resonanzbodenrosette [16] – mit einem deutlich niedrigeren Qualitätsniveau zu tun, welches für eine Statthalterin der Niederlande sicherlich unangemessen wäre. Das Gestell zählt zum gehobenen Standard der Möbelkunst jener Zeit, weist aber nicht darüber hinaus. Dessen ungeachtet: Aus der Fusion von Verwahrmöbel und Instrument ist in der Kulturgeschichte des Möbels ein einzigartiges Ensemble entstanden, von dem wir ein selten gewordenes Exemplar vor uns haben.
Aus dem Briefwechsel von Balthazar Gerbier und Sir Francis Windebank[8] erfahren wir, dass Isabella ein Cembalo bei Hans Ruckers in Antwerpen in Auftrag gegeben hatte und von Peter Paul Rubens bemalen liess. Die Qualität des hier tätigen Malers ist von jener eines Rubens um Lichtjahre entfernt. Die fleckigen und flüchtig gesetzten Weisshöhungen in den Gesichtern machen deutlich, dass es auf den Schein mehr ankam als auf das Sein. Auch bei den Rittern gerät der Farbauftrag ins Grobschlächtige. Das finden wir in der flämischen Kunst so nicht und schon gar nicht im höfischen Umfeld. Nur ein wenig abseits des Hauptgeschehens kam es auf Abbildungsdeutlichkeit nicht mehr so an.[17] Die Illusion, zu der die Bemalung verführen möchte, dass es sich um die zeitgenössische Darstellung historischer Geschehnisse handeln könnte, bricht dort wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Gleichwohl befragen wir das Gemälde weiterhin, was es zu berichten hat. Gäbe es noch eine andere Interpretationsvariante? Auffällig ist, dass wir in zeitgenössischen Abbildungen eine höhere Ähnlichkeit des berittenen Kommandanten mit Ambrogio Spinola erkennen oder gar mit dessen Schwiegersohn Diego Mesía Guzmán (*1590-†1655). [18-20] Damit befinden wir uns zeitlich in einen mit dem Instrument kompatiblen Bereich, da dessen Ehe mit Polyxena Spinola (*1600-†1637) im Jahre 1627 geschlossen wurde. Die Vorstellung jedoch, dass sich die Generäle und deren Gattinnen mit einer minderen Bildqualität zufrieden gegeben hätten wird allerdings dadurch enttäuscht, dass grosse Bestände des Museo del Prado, nicht weniger als 1330 Gemälde, auf die Sammlung Guzmán zurückgehen.[9] Betrachtet man die Instrumentenbemalung neben dem Portrait der Veronica Spinola von Peter Paul Rubens, wird vollends deutlich, dass sich hier zwei fremde Welten gegenüberstehen. [21]
Eine bestimmte Erwartungshaltung anlässlich der Bildanalyse bedarf vielleicht der Erklärung. Der direkte Rückschluss vom Handlungsgeschehen auf die Eigentümer fusst auf der Forderung, dass die Wahl des Sujets für jene einen Sinn haben musste. Brautwerbungs- und Hochzeitsthemen waren in Italien derart beliebt, dass die Entwicklung von der bemalten Brauttruhe, in welcher der Brautschatz – darunter nicht selten Instrumente – aufbewahrt wurde, zum Instrument mit separatem bemaltem Gehäuse nachvollzogen werden konnte.[10] In ganz Europa wurde es Brauch, Instrumente anlässlich von Hochzeiten zu verschenken und die Bemalungen bezugnehmend auszustatten. Auch im vorliegenden Fall handelt das Bildthema von einer Begegnung zwischen Mann und Frau. Die Eigentümer hatten ein Interesse daran, Erinnerungen an einen bedeutenden Teil ihres Lebens festzuhalten, um sich damit auf das freudige Ereignis des Musizierens einzustimmen. Zum Vergleich lässt sich der Virginaldeckel des Lucas Friedrich Behaim aus dem Jahr 1619 heranziehen.[11] Die Abbildungstreue erreicht auch dort ein völlig anderes Niveau, denn jeder Landsitz und jedes Familienmitglied sind identifizierbar. Es gebot der Stolz der Auftraggeber, dass die Personen erkennbar waren, insbesondere, wo es sich in einem der Rahmenbilder um die Verleihung eines Lehens durch den Kaiser handelt. [22-23] Deutlich ist im Hintergrund die Nürnberger Burg zu erkennen, wobei auch hier auf bekannte Stichvorlagen zurückgegriffen wurde.[12] Bei der musizierenden Gesellschaft im Vordergrund handelt es sich um Selfie des Familien- und Freundeskreises, doch kommen wir zum italienischen Virginal zurück.
Auf der Suche nach brauchbaren zeitgenössischen Abbildungen mögen dem Maler einige Stiche von Antonio Tempesta (*1555-†1630) in die Hände gefallen sein, dem wohl meistkopierten Künstler seiner Zeit. [24] Bedingt durch die weite Verbreitung seiner Werke erhielten spätere Generationen visuelle Vorstellungen von historischen Gegebenheiten sowie Kenntnis bezüglich der Mode, der Accessoires wie z.B. der Fächer, bezüglich der Gesten, der Frisuren u.v.m. In einem jener Stiche trägt die Gattin Philips III ein Gewand mit einem dem Baldachin sehr ähnlichen Muster [25] und im Hintergrund finden wir eine Reihe von Hofdamen in ähnlich stereotyper Ausführung – vielleicht eine erste Bestätigung dafür, dass wir es mit einer collagehaften Zusammenstellung nach Vorlagen zu tun haben und mit einem frei erfundenen historischen Ereignis an frei erfundenem Ort. Doch auch diesbezüglich hat der Maler seine Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft, denn das umfassende 34 bändige Werk von Giulio Ferrario[13] über die Kostüme, welches mit zahlreichen kolorierten Kupferstichen ausgestattet wurde, hätte einen gänzlich anderen Variantenreichtum zur Verfügung gestellt: Damen, Herren, Kinder, Kleriker, Gelehrte, Ritter und Edelleute.
Verallgemeinernd lässt sich aus der bisherigen Betrachtung ableiten, dass derartige Fälschungen unter Verwendung von originalem Material von zweierlei Realität berichten. Da ist zum einen die Chronologie ihres tatsächlichen Zustandekommens, zum anderen jene Realität, welche sie uns vorzuspiegeln beabsichtigen. Wer auch immer das Arrangement zu verantworten hat, musste sich vorgängig überlegen, was er damit bezweckt und ein strategisches Konzept entwickeln. Worauf sollte der Käufer aufmerksam gemacht werden?
Die Idee, ein italienisches Instrument mit flämisch anmutender Übermalung auszustatten ist ein perfektes Ablenkungsmanöver und hat zum Ziel, den Gedanken zu evozieren, dass es aus Italien dorthin mitgeführt wurde und das Abgebildete historischer Wahrheit entspräche. Zahlreiche Lebensläufe wie jener der Margarete von Parma oder der Polyxena Spinola bieten eine Projektionsfläche hierfür. Mehr noch, betrachten wir die allgemeine Gepflogenheit der Verheiratung aus dynastischen, finanziellen und politischen Gründen, werden wir im Bereich des Hochadels auf eine extreme Vernetzung mit unüberschaubaren Varianten aufmerksam. Daher genügen wenige motivische Blickfänge, sog. Eye-catcher, um die Vorstellungskraft zu aktivieren. Im vorliegenden Fall sind dies jene Marker, welche die Lokalität als niederländisch identifizierbar machen: Die über den Kanal gehende Stadtbefestigung, die Bockwindmühle, das Zunfthaus [26], gefolgt von zeitlichen Anhaltspunkten über die Bekleidung sowie Hinweisen darauf, wer im Geschehen einen aktiven Teil übernimmt. Das sind im vorliegenden Fall die spanischen Besatzer und die aristokratischen Damen. Zur glaubhaften Umsetzung sind nur wenige visuelle Vorlagen nötig. Der eingefärbte Firnis verleiht dem Ganzen eine verunreinigende Patina mit der Absicht, die Erkennbarkeit bewusst einzuschränken. Der Interessent entschuldigt dieses «Sfumato» gerne mit dem vermuteten hohen Alter. Im Verkaufsgespräch vermag es der Händler, seinen Wissensvorsprung auszuspielen und den Kunden mit vagen Andeutungen und vorgetäuschter Unkenntnis auf die Fährte zu locken.
Im vorliegenden Fall hat man sich die Tatsache zunutze gemacht, dass Erinnerungsstücke an das Goldene Zeitalter in den Niederlanden hoch im Kurs standen. Dies vor allem deshalb, weil das bedeutende Schloss Coudenberg [27] mit all seinen über Generationen angesammelten Schätzen der Habsburger ein Raub der Flammen wurde. Den Schlössern Mariemont, Binche, Folembray und zahlreichen anderen erging es nicht anders. Wie hoch die qualitativen Massstäbe allerdings liegen konnten, davon erhält man eine Vorstellung in Betrachtung eines venezianischen Virginals im Besitz des Badischen Landesmuseums Karlsruhe. [28, 29] [14]
Der Exkurs in Fussnote 14 weist auf den Bildungsanspruch einer Oberschicht sowie auf ein tradiertes Kontinuum, an das im Schnellverfahren schwerlich angeknüpft werden kann. Es gebot der Stolz der Auftraggeber, erkennbar zu sein und mit dem Wappen den Rang des eigenen Standes zum Ausdruck zu bringen. Bedauerlicherweise sind die zugehörigen Gehäuse selten erhalten. Derartiges zu kopieren, mit einer inhaltlichen Bezugnahme von Gemälde und Schnitzerei, wäre aufgrund des erforderlichen Aufwands überhaupt nicht lohnend und ist auch nicht Sinn einer Täuschung, die im Moment des Verkaufs ihren Zweck bereits erfüllt hat. Was immer in der Vorstellungswelt eines leidenschaftlichen Kunstliebhabers abläuft, braucht nicht detailreich ausgeführt werden. Es kommt lediglich darauf an, sie zu aktivieren.
Allein der hinterfragende Betrachter gelangt irgendwann an einen Punkt, an dem er auf Unstimmigkeiten aufmerksam wird, weil er aufgrund des Abgleichs beider Realitäten auf Widersprüche stösst. An diesem Punkt angekommen, hat es weder Sinn, weiteren Quellenstudien nachzugehen, noch konkrete Stichvorlagen zu suchen. Was jenseits der hier vorgenommenen Beschreibung an motivischem Bestand übrig bleibt, fällt in seiner Qualität in einen Bereich ab, für den keine Vorlagen mehr nötig-, sofern überhaupt vorhanden sind.
Inwieweit anlässlich der Planung der Bildkomposition auf Lektüre zurückgegriffen wurde, wofür zur Zeit Franciolinis u.a. die mit Illustrationen ausgestattete Storia dell’Olanda e dei Paesi-Bassi des Conte de Ségur[15] zur Verfügung stand, ist zu hinterfragen, fehlen doch die hohen kirchlichen Würdenträger, welche bei derartigen Anlässen stets zugegen waren und für die jene kleine Gruppe von Mönchen keinen Ersatz bietet, welche vor einem Gebäude auftritt, das seinerseits kaum als romanische Apsis identifiziert werden kann. [32-33].
Auch die Zahl der aristokratischen Damen verwundert - vor allem die Tatsache, dass es sich ausschliesslich um Damen handelt - denn so weit ging die «Emanzipation» nun auch nicht, dass man ihnen das politische Feld ganz überlassen hätte. Eine Ausnahme bildet der Damenfriede von Cambrai im Jahre 1529. Deshalb wurden ihnen Berater an die Seite gestellt, welche dem Kaiser gegenüber rapportpflichtig waren. Die Meinungsverschiedenheiten schlugen sich in der direkten Korrespondenz mit dem Kaiser nieder, der in sämtlichen Angelegenheiten – insbesondere Gattenwahl – das Sagen hatte.
Unter Zuhilfenahme von Lektüre wäre dem Maler bekannt geworden, dass die Machtübergabe im Rathaus zu Gent stattfand im Beisein der Stände und des Klerus als offizieller Staatsakt und nicht en passant an der Kaimauer. Zu diesem Zweck verfügt das bis auf den heutigen Tag erhaltene Rathaus über einen achteckigen Balkon an der Ecke Hoogport-Botermarkt, von dem aus derartige Ereignisse der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden konnten [34].
Ziehen wir die beiden Reiter hinzu, welche offenbar das Amt eines Marschalls oder Seneschalls innehaben, da ihnen die Aufgabe zukommt, ein rotes zweispitziges Banner vorwegzutragen. [35] Ein solches Banner, die sog. Oriflamme, war über Jahrhunderte Reichs- und Kriegsfahne der französischen Könige und erscheint hier zur falschen Zeit am falschen Ort, denn sie fand letzte Verwendung in der Schlacht von Azincourt im Jahre 1415. Es sind unterschiedliche Erscheinungsbilder überliefert. Die vorliegende Form entdecken wir vermehrt in Historienbildern des 19. Jahrhunderts. [36]
Ein aufschlussreiches Detail ist die Aufhängung des Banners am gabelförmigen Ende der Stange. [37] Es bedeutet, dass sich der Maler keine Gedanken über die Praxistauglichkeit seiner Konstruktion machte und über den Würdeverlust, welcher mit dem Zubodenfallen des Banners verbunden wäre. Im Unterschied zu den mehrheitlich geradstieligen Lanzen, welche wie mit dem Lineal gezogen zur Spitze hin eine gleichförmige Verjüngung aufweisen, ist aufgrund der freihändig hinzugesetzten Weisshöhung nicht einmal mit Sicherheit zu sagen, ob es sich ebenfalls um eine Stange oder einfach nur um einen gerade gewachsenen Ast handeln soll. Ein grösserer Widerspruch ist kaum vorstellbar – ein sakrales Banner an einer Astgabel, aufgegabelt, als ob man sich blasphemisch darüber erheben wollte - im originären Zeitfenster undenkbar, waren es doch gerade die Glaubensinhalte, welcher zur Legitimation der Unterdrückung herangezogen wurden.
Wie die Dinge aus der Perspektive der Unterdrückten aussahen, zeigt ein Kupferstich von Adriaen Valéry aus dem Jahr 1626 [38]. Gerade weil es neben dem Eintreiben von Steuern auch um den Erhalt der katholischen Lehre ging, kommt den kirchlichen Würdenträgern, dem Papst, Kardinal Granvelle und dem Bischof von Ypern eine besondere Bedeutung zu, während Margarete von Parma als Gouvernante bezeichnet wird. Das Bistum Ypern wurde im Jahr des Regierungsantritts Margaretes zur Stärkung des katholischen Einflusses gegründet, daher ist der Bischof im Bilde vertreten. Herzog Alba wurde erst 1567 gegen den Willen Margaretes als ihr Amtsnachfolger in die Niederlande gesandt, um dort ein Schreckensregiment zu führen. Der spätere Kardinal Granvelle wurde ihr schon zu Beginn an die Seite gestellt. Man sieht daran, dass es sich keinesfalls um die Regierung einer adeligen Damengesellschaft handelt.
Weitere Bildelemente führen zu einer weiteren zeitlichen Fokussierung: Auffällig sind die von den Pikenieren mitgeführten Fahnen – eine gelb, eine andere orange. Auch die Schärpe des Kommandanten ist von oranger Farbe. Ein Vergleich mit dem zeitgenössischen Gemälde von Juseppe Leonardo [39] und einem Historiengemälde von Kornelis Krusemann [40] zeigt, welche Bedeutung diesen Erkennungszeichen zukam: Die Farben Spaniens sind dort rot und gelb, die Schärpen der Kommandierenden rot.
Mit der Farbe Orange wird der Reiter als Wilhelm I von Oranien identifizierbar und offenbar haben wir es mit jenem Zeitraum zu tun, in dem er noch die Befehlsgewalt über spanische Truppen ausübte. Im gleichen Jahr (1559), in dem Margarete von Parma von Philipp II als Generalstatthalterin eingesetzt wurde, war er zum Statthalter der nördlichen Grafschaften Holland, Zeeland und Utrecht ernannt worden und somit ihr gegenüber rapportpflichtig.
Aufgewachsen am Hofe Karls des V, dessen besonderes Vertrauen er genoss, zeichnete er sich durch militärische Leistungen im Kriege gegen Frankreich aus und wurde aus diesem Grund in den Ritterorden vom Goldenen Vlies aufgenommen, 1556 wurde er damit beauftragt, die Reichskleinodien nach Frankfurt zu bringen. Allerdings sollte es nicht lange dauern, bis er in Ungnade fiel. Der Blutrat unter Herzog Alba beschuldigte ihn des Hochverrats und konfiszierte seine Güter 1568. Nach einem ersten Attentat 1582, von dem er sich jedoch zu erholen vermochte, wurde er 1584 ermordet.
Die Handlung des Gemäldes spielt demnach vor 1568 und wenn wir aufgrund des roten Banners auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit Frankreich hingewiesen wurden, so bieten sich zwei Schlachten an, jene von St. Quentin 1557 und jene von Gravelines 1558, nach denen Frankreich zum Frieden von Cateau-Cambrésis gezwungen wurde. Speziell die Schlacht von St. Quentin galt als einer der schwersten Verluste Frankreichs seit Azincourt. Zum Gedenken an den Sieg am Tage des Hl. St. Laurentius gab Philipp II den Bau des Escorial in Auftrag. Im dortigen Schlachtensaal finden wir ein vergleichbares Gemälde der kämpfenden Truppe. [41] Somit liesse sich ein Zusammenhang mit dem roten Banner des Bildes herstellen, welches dann eben nicht den eigenen spirituellen Hintergrund spiegelt, sondern den Triumph über die Niederlage des Gegners. Ein nochmaliger Blick auf das Gemälde zeigt, dass das Banner gar nicht von den Reitern selbst geführt wird, sondern von einem der Infanteristen unmittelbar hinter ihnen, womit es klar als Beute und nicht als eigenes Banner ausgewiesen ist. Demnach haben wir es mit einem triumphalen Einzug zu tun. Die Information darüber war vorausgeeilt und der Empfang dementsprechend vorbereitet.
Ändern wir den Blickwinkel erneut und erwägen eine spätere Entstehungszeit des Bildes, kommt eine bisher völlig unberücksichtigte Komponente ins Spiel, nämlich das von Johann Wolfgang von Goethe verfasste und 1788 veröffentlichte Trauerspiel Egmont, welches im selben historischen Kontext spielt, diesen jedoch in veränderter Version darstellt. Da das Stück eine Schauspielmusik verlangt, welche von Ludwig van Beethoven auch geliefert wurde, wäre eine besonderer Anlass für eine Instrumentenbemalung gegeben, die gar nichts mit einer Fälschungsabsicht zu tun haben muss, gleichwohl jedoch der gedankliche Auslöser hierfür gewesen sein kann. Unstimmig ist jedoch die Tatsache, dass die Hauptperson des Stücks Lamoral von Egmont – und hier sind wir wieder im Bereich der historischen Betrachtung – keinesfalls die orangefarbene Schärpe seines ranggleichen Waffenbruders angelegt hätte.
Die Schlacht von St. Quentin wurde in zahlreichen Gemälden festgehalten, die dem Maler als Informationsquelle gedient haben könnten. Insbesondere finden wir eine grosse Zahl von Zelten gleicher Bauart, sowohl Kegelzelte als auch Steilwandzelte mit 2 Masten. [42] Angeführt wurde die Schlacht vom Amtsvorgänger der Margarete von Parma, d.h. von Emanuel Philibert von Savoyen, dem sowohl Lamoral von Egmont als auch Wilhelm von Oranien unterstellt waren. Demnach kommt Margarete von Parma als begrüssende Dame im Bildgeschehen vor der Hand nicht infrage, weil es nicht sein kann, dass die Streitmacht mit einer Verzögerung von 2 Jahren bei ihr eintraf. Diese Feststellung schränkt die Datierung des Bildgeschehens erneut ein. War bislang von 1568 als terminus ante quem die Rede, müsste es nach diesem Befund vor 1559 gewesen sein.
Welcher Damengesellschaft hat die Truppe demnach ihre Aufwartung gemacht? Eine Antwort auf diese Frage kann sich nur aus der Biografie des Wilhelm von Oranien ergeben, von dessen 2. Hochzeit wir wissen, dass er mit einem über 1000 Pferde starken Geleit in Leipzig eintraf. Diese zweite Ehe mit Anna von Sachsen wurde 1561 geschlossen und steht auch schon im Zusammenhang mit dem konfessionellen Konflikt, der zur Ächtung Wilhelms führte. Dessen erste Ehe mit Anna von Egmond fand 1551 statt und kann demzufolge nicht mit der Schlacht von St. Quentin in Verbindung gebracht werden. Bildgeschehen und Historie stimmen hier nicht überein. Anna von Egmond verstarb am 24. März 1558 in Breda.
Damit kommen wir zu den Kernfragen, was immer die historischen Fakten auch liefern. Der Maler, ob Fälscher oder nicht, hat sich für dieses Geschehen und kein anderes entschieden. Worum handelt es sich? Was hat ihn dazu bewogen, das Virginal, dem man seine Wertigkeit auch damals nicht absprechen konnte, damit auszustatten? Die genannten Details müssen eine Bedeutung für ihn gehabt haben, während andere Bildinhalte offenbar weniger Aufmerksamkeit verdienten.
Von Friedrich Schiller erfahren wir, dass Wilhelm von Oranien nach dem Friedensschluss von Cateau-Cambrésis als ehrenvoll behandelte Geisel in Frankreich verblieb.[16] Der Friedensvertrag wurde am 3. April 1559 geschlossen. Die Entscheidung über die «Sicherheitsverwahrung» konnte also erst dann gefallen sein, nicht unmittelbar nach der Schlacht.
Nimmt man nun an, das Bild handele davon, dass er auf der Durchreise seiner neuen Statthalterin begegnete, um sie in aller Form zu begrüssen, um sich sogleich zu verabschieden, was erst nach ihrer Ernennung am 07. August 1559 geschehen konnte, wäre das Portal zur Burg für die nachfolgende Festivität geschmückt und die Schiffe für seine Reise bestimmt – ein sehr viel kleinerer Anlass also als die Einführung der Statthalterin in ihr neues Amt.
Ungeachtet dessen, dass er vielleicht enttäuscht darüber war, nicht selbst zum Generalstatthalter ernannt worden zu sein, befand sich Wilhelm von Oranien wieder auf Brautschau, denn Friedrich Schiller berichtet:
«Die fehlgeschlagene Erwartung der Regentschaft benahm dem Prinzen von Oranien die Hoffnung noch nicht ganz, seinen Einfluss in den Niederlanden noch fester zu gründen. Unter den übrigen, welche zu diesem Amt in Vorschlag gebracht wurden, war auch Christina, Herzogin von Lothringen, und Muhme des Königs, die sich als Mittlerin des Friedens von Chateau-Chambrésis ein glänzendes Verdienst um die Krone erworben hatte. Wilhelm hatte Absichten auf ihre Tochter, die er durch eine thätige Verwendung für die Mutter zu befördern hoffte…»[17]
Und an anderer Stelle:
«Dem Prinzen von Oranien war es nicht unbekannt, dass er [Kardinal Granvelle] seine heurath mit der Prinzessin von Lothringen hintertrieben und eine andere Verbindung mit der Prinzessin von Sachsen rückgängig zu machen gesucht hatte.»[18]
Wie wir bereits hörten, wurde die Ehe mit Anna von Sachsen 1561 dennoch geschlossen. Ergänzen wir nun mit dem Bericht Schillers die Bilderzählung, so könnte es sich bei der im «Partnerlook» gelb-orange gekleideten Dame um die Prinzessin von Lothringen handeln, welche von Margarete von Parma dazu aufgefordert wird, das Zelt zu betreten. [43] Da anlässlich der Amtseinführung Margaretes der Hochadel noch vor Ort vertreten war, kam der Zeitpunkt gelegen, sich aus dem Kreise der Damen die Zukünftige auszuerwählen. Den Vorgang im Zelt stellte sich der Maler offenbar als sponsalia per verba de futuro vor, d.h. als Eheversprechen im Beisein der Regentin. Gewiss hätte man in diesem Zusammenhang die Anwesenheit des Vaters erwartet, doch war Franz I von Lothringen bereits 1554 verstorben. Das Fehlen eines hochrangigen geistlichen Würdenträgers bei diesem Anlass ist ein kapitaler Fehler des Fälschers.
Nehmen wir die vom Maler vorgenommene Gruppierung der Personen zum Anlass einer Zuordnung, so könnte es sich bei den 2 Begleiterinnen Margaretes um deren Hofdamen handeln, neben Renata wären deren Schwester Dorothea sowie deren Mutter Christina in schwarzer Robe zu sehen.
Wenn es allein darauf ankam, den Aspekt der Brautschau zu betonen, wäre verständlich, warum der Maler dem Prinzen ausschliesslich Damen gegenüberstellte, unverständlich wird hingegen, wofür er zu diesem Zweck seine Soldaten benötigte. Hierzu ist einzuräumen, dass er mit den Soldaten lediglich die Bedeutung Wilhelms hervorzuheben gedachte, der befugt war, mehrere Fähnlein – wie der Name schon sagt – unter seiner eigenen Fahne zu führen, denn erst vor diesem Hintergrund der bildlichen Erklärung wird der Reiter zum Kommandanten. So gesehen muss die Hundertschaft gar nicht realiter vor Ort gewesen sein und kann durchaus auf Vergangenes weisen. Bilder müssen nicht zwingend einer photographischen Momentaufnahme entsprechen.
Wir haben es mit einem Unterschied hinsichtlich der Zielsetzungen zu tun, denn während es einem Historienmaler darum geht, ein Ereignis wiederzugeben, welches sich nach seinem Verständnis so und nicht anders abgespielt hat, neigt ein Fälscher dazu, seine Invention bilderzählerisch verständlich zu machen. Im gleichen Sinne können die Schiffe dergestalt interpretiert werden, dass sie gegenüber dem Handlungsgeschehen in Zukunft verwendet werden sollten, doch visuell schon einmal bereitstehen.
Daher betrachten wir noch einmal die historischen Ereignisse in diesem Zeitraum.
- Im Juli 1555 erfolgte Wilhelms Bestallung zum Generalkapitän und Oberbefehlshaber der im französisch-niederländischen Grenzgebiet operierenden Maas-Armee, deren Stärke sich auf 18000 Infanteristen und 3000 Reiter belief.
- Im August 1557 war Wilhelm von Oranien als Oberst eines Reiterregiments an der Einnahme von St. Quentin beteiligt. Mehrere hohe französische Adelige gerieten in Gefangenschaft, von denen 2 als Pfand für mögliche Friedensverhandlungen von ihm auf sein Schloss in Breda verbracht wurden.
- Februar/März 1558 war er Mitglied jener Delegation, welche die Reichsinsignien nach Frankfurt brachte. Hier erreicht ihn die Botschaft von der schweren Erkrankung seiner Gattin, welche am 25. März verstarb.
- Nach Ablauf des Trauerjahres warb er um die Hand der Renata von Lothringen.[19] Da Philipp II zunächst gedachte, deren Mutter Christina als Statthalterin zu benennen, die zudem von der Mehrheit des flandrischen Adels für den Posten favorisiert wurde, hätte sich diese Allianz nach damaligem Kenntnisstand als besonders vorteilhaft erwiesen.[20]
- Am 03. April 1559 war Wilhelm von Oranien an den Friedensverhandlungen von Cateau-Cambrésis massgeblich beteiligt.
- Am 18. Juni 1559, als Heinrich II in Notre Dame de Paris seinen Eid auf den Frieden ablegte, war er als Geisel im Sinne eines Friedensgaranten anwesend.
- Noch im Sommer wird es Wilhelm von Oranien widerruflich gestattet, in die Niederlande zurückzukehren. Wohl noch in Frankreich wurde er auf die damals 17jährige Witwe des Herzogs von Enghien, eine Tochter des Grafen von St. Pol aufmerksam, doch Heinrich II wünschte keine Ehe mit einem ausländischen Vasallen.
- Am 07. August 1559 wird Margarete von Parma von Philipp II als Generalsatthalterin eingesetzt, Wilhelm von Oranien wird Statthalter der Provinzen Holland, Zeeland und Utrecht. Im folgenden Monat begibt sich Philipp II auf den Seeweg nach Spanien.
- Im September 1559 wurde Wilhelm von Oranien ein unehelicher Sohn, Justinus von Nassau geboren.
- Im Zusammenhang mit der Suche nach einer neuen Gattin wird von «deutschen Verbindungen» gesprochen, auf welche ihn seine Angehörigen aufmerksam machten, darunter sicherlich bereits Anna von Sachsen, welche er 1561 heiratete. Aufgrund deren lutherischer Religion war Margarete von Parma mit dieser Beziehung jedoch nicht einverstanden. Sie kann es demnach gewiss nicht gewesen sein, die von ihr zum Betreten des Zeltes aufgefordert wurde.
An dieser Stelle dürfen wir schon einmal festhalten, dass der Maler recht gut informiert gewesen sein muss, denn für ein Zufallsergebnis ist die Darstellung auffällig auf einen Punkt konzentriert: und steht zugleich in der traditionellen Verbundenheit von Instrument, Brautwerbung und Hochzeit.
Aus Renatas Perspektive – sofern wir sie im Bildgeschehen zu identifizieren glauben – entspricht das Ereignis dem Märchentraum vom Prinzen, welcher auf weissem Ross daherkommt um sie zu hofieren und um ihre Hand anzuhalten. Handelte es sich um ein zeitgenössisches Gemälde, kämen die beiden, so sie denn geheiratet hätten, in erster Linie als Auftraggeber des Bildes infrage, nur ist dies im vorliegenden Fall nicht gegeben und auch nicht mit dem angeblichen Entstehungsjahr des Instruments kompatibel. Renata verstarb im Jahre 1602.
Aus Perspektive eines Fälschers konnte jener davon ausgehen, dass das Bildungsbürgertum Goethe und Schiller gelesen hat und daher in der Lage war, einen Bezug zum Handlungsgeschehen herzustellen, denn an die Schlachten von St. Quentin und Gravelines wird darin ebenso erinnert wie an Margarete von Parma und Wilhelm von Oranien. Die Anspielung auf historische Ereignisse mit präzise gesetzten Bildattributen war sein Beitrag zur Beruhigung eines skeptischen Betrachters.
Aufgrund der auffallenden Zahl an Querci-Instrumenten, welche durch die Hände Franciolinis gegangen sind, wurde dieser im Rahmen der vorliegenden Studie geradezu vorverurteilt, ohne etwas Konkretes in der Hand zu haben. Die Tatsache, dass das Virginal in seinen Katalogen nicht erscheint mag auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass wir nicht von allen Katalogen Kenntnis haben oder darauf, dass er das Instrument bereits kurz nach Fertigstellung zu verkaufen vermochte oder dass er es schlichtweg nie besass. Dann allerdings bestünde Anlass zu der Frage, welche anderen Fälscher sich ggf. noch am Instrumentenbestand vergriffen haben. Dass es in einem so lukrativen Geschäft nur einen Einzelfall gegeben haben soll, fällt ohnehin schwer, zu glauben.
Aus diesem Grund ist geboten, die Suche ergebnissoffen weiterzuführen und wir sind gehalten, nicht nur zu betrachten, welche Lektüre von Florenz aus leicht anzukommen war, sondern auch nicht-italienische Werke mit einzubeziehen, welche als Vorlage gedient haben könnten. Im Fokus stehen die Hauptakteure der Handlung: Margarete von Parma, Wilhelm von Oranien sowie Christine von Lothringen und ihre Töchter. Erstaunlich genug ist es, dass es einer Neubemalung gelungen sein soll - oder gelungen ist - so unauffällig durchzugehen.
Wechseln wir gleich wieder zurück zur «anderen Realität» und wenden uns dem Bildgeschehen zu. Die einzige Dame der Bildhandlung, welche nach dem angegebenen Entstehungsjahr des Instruments 1610 noch lebte und demzufolge als Auftraggeberin des Gemäldes infrage käme, war Dorothea von Lothringen. Zwar war sie selbst nur Zeugin des Geschehens – was immer wir im Bilde sehen: Wilhelm von Oranien war ja tatsächlich an einer Vermählung mit ihrer Schwester interessiert – doch ergibt sich durch einen Blick auf ihre Biografie eine andere-, eine neue Perspektive.
Als ihre Schwester Renata später tatsächlich verheiratet wurde, und zwar mit Wilhelm von Bayern im Jahre 1568, musste Dorothea eine bittere und persönlichkeitsverletzende Enttäuschung hinnehmen, denn ursprünglich war sie selbst für diese Heirat vorgesehen. Grund für die Ablehnung ihrer Person war die Feststellung, dass sie lahm sei, «einen Mangel an einem Fusse habe», und nicht laufen könne, und «es darum nicht thunlich sei, sich daselbst einzulassen». Andere beschrieben den Fuss als verkrüppelt[21]. Da half es auch nichts, dass ihre Mutter die Mitgift noch einmal um 100.000 Kronen erhöhte. Selbst ein Empfehlungsschreiben des Kaisers Maximilian II blieb ohne Beachtung. «Ich denke», so antwortete Herzog Albrecht dem Kaiser: »die gute Herzogin finde ihren Töchtern wohl Männer ausser meinen Kindern, so muss ich auch sehen, wie ich die meinen versorge» [22]
Das Bild von der Brautwerbung des Wilhelm von Oranien mochte für Dorothea einen besonderen Erinnerungswert gehabt haben, zeigt es doch die Bemühung eines Mannes um seine Auserwählte. Der Maler hat dieses Thema in den Fokus gerückt obschon aus der Beziehung nichts wurde. Dieser Sachverhalt ist an sich seltsam genug.
Diese Interpretation käme - mit Einschränkungen zeituntypisch - einer emotiven Offenbarung gleich. Erinnert sei an dieser Stelle an Anna von Sachsen, die 2. Gattin des Wilhelm von Oranien und an deren aussereheliche Beziehung zu Jan Rubens - dem Vater des Malers Peter Paul Rubens - welche verheerende Konsequenzen nach sich zog. Es ist nicht zu übersehen, dass die Damen in jener Zeit eine ausserordentliche Ungleichbehandlung zu ertragen hatten. Emotionen hatten sich unterzuordnen gegenüber Geld- und Machtinteressen.
Damit sind wir fast am Ende unserer Reise durch die Geschichte angekommen. Julia Cartwright, die sich eingehend mit den Leben der Christina von Lothringen befasste und daher anderes Quellenmaterial hinzuzog, berichtet, dass die Vereinbarung einer Ehe zwischen Renata und Wilhelm von Oranien bereits im Rahmen der Friedensverhandlungen von Cateau-Cambrésis zustande gekommen war, das Projekt jedoch von Philipp II hintertrieben wurde, da er nicht zulassen konnte, dass Wilhelm von Oranien mit derart viel Macht ausgestattet würde. Friedrich Schiller berichtete das bereits ähnlich. Nur fügt Cartwright an, dass der enttäuschte Wilhelm von Oranien, zusammen mit Egmont und Alva ein paar Tage später die Reise nach Paris antrat, um dort die Einhaltung der Friedensbedingungen als Geiseln zu sichern.[23] Zu diesem Zeitpunkt befand sich Margarete von Parma noch auf dem Wege nach Brüssel.[24]
Damit wird deutlich, dass der Maler für das Ereignis einen um rund einen Monat verschobenen Zeitpunkt wählte und das Ereignis so, wie er es darstellte, nicht stattgefunden haben kann. Korrigierten wir daraufhin unsere Sichtweise und nähmen an, dass es sich auf dem Gemälde dann eben um eine andere Dame gehandelt haben könne, schweigen die Quellen dazu gänzlich und das wiederum bedeutet, dass der Maler nichts anderes als seine Phantasie zu bemühen gehabt hätte.
Auch jener Variante, dass Dorothea noch als Auftraggeberin in Frage kommen könnte, wird damit der Boden entzogen. Unabhängig von der Quellenlage steht diese letzte Interpretation, nachdem das Instrument damals neu war, in Konflikt mit einer gänzlich anderen Beobachtung, denn sowohl von der Stärke des Farbauftrags her als auch bei näherer Betrachtung kleinerer Fehlstellen, können wir vom Vorhandensein einer-, wenn nicht gar mehrerer unterer Malschichten ausgehen. Aus diesem Grunde ergab sich das Desideratum, mittels einer kunsttechnologischen Untersuchung unter Zuhilfenahme der Röntgentechnik weitere Aufschlüsse zu gewinnen, doch fand sich kein Hinweis auf eine untere Malschicht. [44, 45, 46] Wahrscheinlich waren Innen- und Aussenseite im gleichen Farbton gestrichen.[25]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gemälde mit einer ordentlichen Portion Gerissenheit entstand. Zunächst wurde ermittelt, wo die Begehrlichkeiten am ausgeprägtesten sind und sodann ein Sujet gewählt, dessen Kontext durch Goethe und Schiller hinreichend bekannt gemacht worden war. Einige Verse aus Klärchens Lied sind noch heute manch einem geläufig:
«Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt -
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.»
Zudem passt das Motiv der Brautwerbung zur italienischen Tradition bemalter Instrumente. Unstimmigkeiten zeigen sich erst auf den 2. Blick und das sowohl im Hinblick auf die Malqualität und Sorgfalt der Ausführung als auch im Hinblick auf die historische Recherche, wobei einzuräumen ist, dass die 1913 erschienene Studie von Julia Cartwright wohl noch nicht greifbar war, sofern denn überhaupt aus italienischer Sicht fremdsprachlich recherchiert wurde.
Gleichwohl kann das wissenschaftliche Umfeld nicht ganz freigesprochen werden. Polydisziplinäre Bearbeitungen sind bis heute eine Seltenheit und ein Interesse an bemalten Instrumenten ist sowohl in der Musik- als auch in der Kunstwissenschaft kaum zu entdecken – aus dem einfachen Grund, weil die Thematik hälftig in beiden Disziplinen verortet ist. So konnte das Projekt gelingen, ein schlichtes Virginal aus seinem Schattendasein in ein historisch bedeutsames Licht zu rücken. Die Vorstellung einer akustischen Zeitreise in die Vergangenheit – die musikalische Entrückung – liess über manches hinwegsehen.
Heute erhält das Instrument eine weitere suggestive Aufwertung durch seine Abkunft aus einem Museum, doch George F. Harding Jr. (*1868-†1939) war Privatier, der regelmässig mit eigenem Flugzeug Europa bereiste, um den Bestand seiner Waffensammlung zu erweitern, für welche er in Chicago als Anbau an sein eigenes Anwesen eine kleine Burganlage schuf. [47-48] Was immer ihm ausserhalb seines Sammelschwerpunktes noch gefiel, erwarb er. In einem 1932 geführten Interview bestätigte er, dass er gar keine spezielle Sammlung anzulegen gedachte und sie daher vor allem repräsentiere, was sein Vater und er so mochten[26] – der ideale Kunde also für einen Leopoldo Franciolini.
Das Art Institute of Chicago, welches seine Sammlung 1982 übernahm, teilte dem Verfasser auf Anfrage mit, dass George F. Harding das Instrument von einem Pariser Händler namens Salomon etwa um 1930 erwarb – demnach genau dort, wo es 3 Jahre zuvor restauriert worden war. In handschriftlichen Notizen [49-50] finden wir eine kurze Beschreibung der Bemalung: «… painted inside lid depicting Queen and her court welcoming the return of the victorious army...» … und niemand, der sich gefragt hätte, welchen Sinn solch ein Sujet für einen Auftraggeber gehabt haben sollte. Weiterverkauft wurde das Instrument am 29. Oktober 1976 über Sotheby’s New York.[27] Im Auktionskatalog heisst es zum Gemälde: «The interior of the lid painted with a port scene» [51]
Für künftige Forschung ergibt sich als neuer Ansatzpunkt die vorgestellte stilistische Handschrift des Malers, die, wo immer sie wiedererkannt wird, zu einer kritischen Betrachtung Anlass geben muss. Allein die Kontrolle dahingehend, ob ein Instrument in den Katalogen Leopoldo Franciolinis Erwähnung findet oder nicht, ersetzt nicht die eigenständige Untersuchung.
Der verbreiteten Auffassung, dass die Aufdeckung einer derartigen Interessententäuschung einer Entwertung des Instruments gleichkäme, ist an dieser Stelle einiges entgegen zu halten. Zum einen sei an den Umstand erinnert, dass wir es mit einem Pasticcio originaler Bestandteile zu tun haben. Um ein Zeitzeugnis handelt es sich daher allemal, noch dazu um eines, das zur differenzierten Betrachtung Anlass gibt und uns auf seine eigene Weise mit der Geschichte in Tuchfühlung bringt. Zudem verrät es etwas über die psychische Beschaffenheit des Menschen.
Denken wir an die zahlreichen Ravallements flämischer Instrumente, speziell jene der Familie Ruckers aus Antwerpen, an den geradezu reliquienhaften Umgang mit historischem Instrumentenbestand und daran, wie realiter mit diesem Bestand umgegangen wurde, haben wir unsere analytischen Werkzeuge neu zu sortieren. Vor allem geht es dabei um die suggestive Wertigkeit, denn von einer objektiven können wir ohnehin nicht sprechen. Glaubhaft versichern zu können, dass zumindest Teile des Resonanzbodens noch vom flämischen Altmeister vom Range eines Stradivarius angefertigt wurden, liess die Preise in die Höhe schnellen und sorgte für eine ungeahnte Prädisposition des Hörerlebnisses. Wer möchte bestreiten, dass der Zugewinn an Gefühlsintensität nicht stets auch mit der Erhöhung der Wertschätzung verbunden war? Das konnte derart skurrile Formen annehmen, dass eine mittelklassige Instrumentenbemalung bereits als Rubens ausgegeben werden konnte.[28] Selbsttäuschung und Täuschung liegen nahe beieinander. Starke Hörerlebnisse sind offenbar in der Lage, die Wahrnehmung zu verzaubern.
Auf dieser Klaviatur vermochte Leopoldo Franciolini virtuos zu spielen, denn soweit wir sehen, geht auf ihn die Erfindung des Tabernakelklavizitheriums[29] zurück, dessen Flügeltüren von keinem Geringeren als Fra Angelico bemalt worden seien.[30] Die Kartusche im gesprengten Giebel trägt das Wappen Papst Gregor XIII. Unweigerlich denkt der Betrachter an die päpstliche Kommunikation mit dem Allerhöchsten und an die Musik als Geschenk Gottes. Der Pianist Franz Josef Hirt eröffnete mit diesem Instrument seinen prachtvollen Bildband Meisterwerke des Klavierbaus und speziell das einleitende Kapitel mit der Überschrift «Saitenklaviere von Reliquienwert». Franciolini hat es in der überlieferten Kulturgeschichte des Klaviers also weit gebracht.
Anstatt in diesem Sachverhalt eine Peinlichkeit zu sehen, und ein solches Instrument - einmal Museumsbestand - wieder zu veräussern, wäre es angebracht, gerade auch soche Stücke in den grossen Kontext der Kulturgeschichte der Tasteninstrumente aufzunehmen und die in ihnen enthaltenen Informationen zu nutzen.
In vergrössertem Massstab gilt das auch für die christliche Symbolik der abendländischen Harmonielehre – eine menschengemachte Hinzufügung zur suggestiven Annahme einer höheren Abkunft: MUSICA DONUM DEI. Es gibt keine Orgel, die davon nichts zu berichten wüsste. Wer käme deshalb auf die Idee, diesem vermeintlichen Gottesgeschenk seine kulturgeschichtliche Relevanz absprechen zu wollen?
© Aurelius Belz 2022
ZUSAMMENFASSUNG
Ein italienisches Virginal des 17. Jhdt. - wurde zur Erzielung eines höheren Verkaufspreises bemalt.
Schlüsselfaktoren:
- das Stilistische
- die lückenhafte Kenntnis vom Aussehen einer flämischen Stadt
- die Ignoranz hinsichtlich der Bedeutung des Klerus anlässlich von Eheversprechen
- die zeitliche Fehleinschätzung in Bezug auf den Moment der Handlung.
Wer die Bemalung in Auftrag gab und wer sie ausführte, ist offen. Die Werkstatt Leopoldo Franciolinis kommt gewiss infrage, jedoch nicht zwingend. Abgebildete Personen scheiden als Auftraggeber aus.
Über das Instrument als solches ist damit noch nichts gesagt. Die originale Zugehörigkeit der Vorsatzleiste mit Name und Datum ist allerdings in Zweifel zu ziehen.
Für den erwiesenen Support für das Zustandekommen dieser Studie habe ich Anlass, folgenden Personen und Institutionen herzlich zu danken:
- Dr. med. vet. Simon Hauri, Beinwil am See, für den Einsatz seiner Anlage zur digitalen Röntgendiagnostik
- Dott.ssa Paola De Montis, Archivio di Stato di Bologna
- Dott. Lorenzo Terzi, Archivio di Stato di Napoli
- Carmela Biscaglia, Archivio storico diocesano di Tricarico
- Archivio di Stato di Foggia
- Archivio di Stato di Modena
- Archivio storico della chiesa di Napoli
- Dr. Katharina Siefert, Badisches Landesmuseum Karlsruhe
- …und natürlich den Eigentümern für das entgegengebrachte Vertrauen und eine ordentliche Portion Geduld.
Literatur
Altoviti, Giovanni, Essequie della sacra cattolica, e real maestà di Margherita d'Austria regina di Spagna, celebrate dal serenissimo Don Cosimo II. Gran Duca di Toscana IIII, Florenz 1612
Belz, Thomas Aurelius, Das Instrument der Dame. Bemalte Kielklaviere aus drei Jahrhunderten, Dissertation, Bamberg 1996
Beurmann, Andreas, Historische Tasteninstrumente, Cembali, Spinette, Virginale, Clavichorde, München, London, New York, 2000
Boalch, Donald, H. Makers of the Harpsichord and Clavichord 1440-1840, Oxford 1974
Bricqueville, Eugène de, Les ventes d’Instruments de Musique au XVIIIe siècle, Paris, 1908
Canosa, Romano, Vita di Margherita d’Austria, Ortona, 2016
Cartwright, Julia, Christina of Denmark, Duchess of Milan and Lorraine 1522–1590, New York, 1913
Di Trojano, Massimo, Die Vermählungsfeier des Herzogs Wilhelm des Fünften von Bayern mit Renata, der Tochter des Herzogs Franz des ersten von Lothringen, zu München im Jahre 1568, München 1842
Ferrario, Giulio, Il costume antico e moderno: o storia del governo, della milizia, della religione, delle arti, scienze ed usanze di tutti I populi antichi e moderni provata coi monumenti dell’antichità, e rappresentata con analoghi disegni. 34 Bde., Florenz, 1831-1842.
Fornari, Carlo, Margherita d’Austria e di Parma, Parma, 2017
Goethe, Johann Wolfgang von, Egmont, Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen, Leipzig 1788
Hirt, Franz Josef, Meisterwerke des Klavierbaus, Zürich 1981
Mörke, Olaf, Wilhelm von Oranien, Stuttgart 2005
O’Brien, Grant, Ruckers. A harpsichord and virginal building tradition, Cambridge 1990
Otto, Brinna, Ein venezianisches Spinett im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, In: Jahrbuch der Staatl. Kunstsammlungen in Baden-Württemberg, Bd. 8, 1971, 97-119
Rachfahl, Felix, Margareta von Parma Statthalterin der Niederlande, 1559-1567, Leipzig 1898
ders. , Wilhelm von Oranien und der niederländische Aufstand, 3 Bde., Halle 1906-1924
Ripin, Edwin M., The Instrument Catalogs of Leopoldo Franciolini, New Jersey, 1974
Rosenberg, Adolf, Geschichte des Kostüms, Bd. 3, New York 1905
Sanvitali, Leonardo, Conte Storia dell'Olanda e dei Paesi-Bassi Pubblicata in continuazione al compendio della storia universale del Sig. Conte di Ségur, Mailand 1824
Schiller, Friedrich, Die Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, Leipzig 1801
Ibid. Storia della rivoluzione dei Paesi Bassi sotto il regno di Filippo 2., übersetzt von S.B., Turin 1852
Tacke, Andreas, Der Behaimsche Spinettdeckel von 1619. Zu einem hochrangigen kulturgeschichtlichen Zeugnis der Nürnberger Barockzeit. In: Krickeberg, Dieter [Hg.] Der schöne Klang. Studien zum historischen Musikinstrumentenbau in Deutschland und Japan unter besonderer Berücksichtigung des alten Nürnberg, Nürnberg 1996
Vetter, Klaus, Wilhelm von Oranien, Berlin 1987
[1] Boalch, 1974, 123 Eine Kopie der angegebenen Seite fand sich im Instrument. 1995 ist eine erweiterte 3 Auflage erschienen, hrsg. von Charles Mould, Oxford, 1995, s. ebenso Boalch-Mould online: https://db.boalch.org/instruments/basicsearch
[2] Die Geschäftsgründung erfolgte 1879, gemäss den Angaben auf seinen Katalogen
[3] Beurmann, 2000, 50f
[4] Ripin 1974, ix
[5] ebd., Appendix I
[6] Fornari, 2017, 100 berichtet neben der Dienerschaft von 4 Hofdamen, welche sie begleiteten
[7] Z.B. das findet sich das Wappen von Gregor XIII auf einem Klavizitherium in Tabernakelform, s. Hirt, 1981, 26, sowie jenes von Sixtus V auf einem Klavizitherium der Hans Adler Collection.
[8] O’Brien, 1990, 303
[9] https://artigos.wiki/article/de/Diego_Felipez_de_Guzmán,_1st_Marquess_of_Legané. Besucht am 29, Sept. 2022
[10] Belz, 1996, 43ff, 79 ff
[11] ebd., 74
[12] Tacke, Andreas, 1996, 153
[13] Ferrario, Florenz 1841-1842
[14] Hingewiesen sei an dieser Stelle auf die thematische Verwandtschaft zum Virginal der Giulia da Varano (s. Video XVII). Die Schnitzereien auf den Klaviaturwangen, welche sich ausserhalb des Korpus «fuori dello strumento» befinden, widmen sich in beiden Fällen der körperlichen Liebe bzw. der Lasterhaftigkeit und in beiden Fällen erfolgt bereits unmittelbar an der Gehäusewandung eine deutliche Abgrenzung: Bei Giulia da Varano finden wir den Hinweis auf einen Bibeltext, beim Instrument aus Karlsruhe den Phoenix. Herodot schreibt, dass dieser dem Adler am ähnlichsten sähe (Historien 2,73). Den Spruch aus dem Munde des Amor «Phenice sei, hor che legato m’hai» (Phönix bis du, jetzt, da du mich gebunden hast) können der Leser oder die Leserin aufgrund der Du-Anrede problemlos auf sich selbst beziehen. Von Pierius Valerianus hören wir in dessen Hieroglyphika zum Begriff des Phönix: «Wir pflegen diejenigen Männer Phoenices zu nennen, die sich durch Tugend und Gelehrsamkeit weit vor den anderen auszeichnen», zitiert nach Otto, 1971, 111. Dass dies in gleicher Weise auch auf Damen zutreffen konnte, belegen die zahlreichen Gemälde, Kupferstiche und Schmuckstücke, welche Elisabeth I mit dem Phoenix in Verbindung bringen. [30] Mit ihrem Lebenswandel hat die Virgin Queen derart viel zur Verbreitung der Devise beigetragen, dass manche sogar den Begriff Virginal auf ihre Vorliebe für dieses Instrument zurückführen. In christlicher Lesart ist der Phoenix ein Symbol der Auferstehung, welche durch tugendsames Verhalten verdient werden kann, die 10teilige Resonanzbodenrosette erinnert an die 10 Gebote. Im gezeigten Kupferstich des Westfälischen Landesmuseums wird der biblische Zusammenhang mit dem Hinweis auf Psalm 118 hergestellt.
Zum Wappen:
Sowohl die natürliche Rose mit Stiel und Blättern als auch die drei achtstrahligen Sterne in pyramidaler Anordnung sowie der Querbalken begegnen uns im Wappen der Familie Angerami – teilweise nobilitiert: De Angerami - die sich bis ins 14.Jh. zurückverfolgen lässt. [31] Die archivalischen Spuren sind allerdings spärlich und die Verbreitung des Namens, dessen Schreibweise in Varianten begegnet, ist in Italien nur auf wenige Orte beschränkt s. https://ganino.com/cognomi_italiani_a sowie https://www.paulflo.com/files/angerami.htm besucht am 29.11.2022. Aufgrund der lediglich punktuellen Verbreitung wurden die Staatsarchive von Bologna, Modena, Foggia und Neapel sowie das bischöfliche Archiv von Neapel angefragt. Aus den Rückmeldungen ergab sich, dass die Rose erst später durch eine Heirat in das Wappen gelangte. Auch die Adelskrone begegnet uns nur im Süden Italiens. Von daher schränkte sich der Suchradius auf den Zuständigkeitsbereich des Diözesanarchivs vom Tricarico ein.
Historische Verbindung:
Ein historischer Link zur Thematik des Virginals ergibt sich dergestalt, dass Philipp II am Tage vor seiner Hochzeit mit Elisabeths Halbschwester Maria Tudor im Jahre 1554 von seinem Vater Karl V zum König von Neapel ernannt wurde. Als er 4 Jahre später nach dem Tode Marias um die Hand Elisabeths anhielt, soll diese erwidert haben: «Meine Schwester hat durch die Heirat mit Euch die Gunst ihres Volkes verspielt, glaubt Ihr, ich werde denselben Fehler machen?» Es ist davon auszugehen, dass der neapolitanische Adel die Geschehnisse genau beobachtete und sich derartige Anekdoten wie ein Lauffeuer verbreiteten. Auf diese Weise wurde das Instrument zum Zeitdokument, das darüber berichtet, in welcher Liga die Eigentümer geistig mitspielten. Zu den Phenice zu zählen war ein Prädikat des Adels. Darin spiegelt sich eine subtile innere Distanz zum vorgesetzten ausländischen Monarchen, der nicht einmal die Landessprache beherrschte, ohne diesen persönlich anzugreifen. Seine Halbschwester Margarete von Parma war in Neapel immerhin mit den lokalen Gepflogenheiten vertraut gemacht worden und genoss schon von daher weitaus mehr Sympathie. Zusätzlicher und zufälliger Bezugspunkt mag der Umstand gewesen sein, dass sowohl das Haus Tudor als auch jenes der Angerami eine Rose im Wappen tragen, auf die an zentraler Stelle hingewiesen wird.
[15] S. Sanvitali, Mailand 1824
[16] Schiller, 1801, Erstes Buch 103
[17] Gemeint ist Renata von Lothringen, Tochter Franz I von Lothringen und dessen Gemahlin Christina von Dänemark, Schiller 1801, Erstes Buch, 107, vgl. Mörke 2007, 73
[18] Schiller, 1801, Zweites Buch, 148, eine italienische Übersetzung erschien in Turin, 1852, dort: 69 und 89f
[19] Mörke, 2007, 73
[20] Rachfahl, 1898, 61
[21] Cartwright, 1913, 302
[22] Di Trojano, 1843, viii
[23] Nachdem Julia Cartwright diesem Vorgang besondere Aufmerksamkeit widmet, sei ihre Darstellung an dieser Stelle wiedergegeben:
«One day, when Philip was walking in the park at Brussels with the Prince, he told him how much he regretted to find that Madame de Lorraine was strongly opposed to his marriage with her daughter, and had begged him to inform the Prince that she must decline to proceed further with this matter. The King added, in a friendly way, that he had told him this in order that he might look about for another wife while he was still young. The Prince was naturally much annoyed at this unexpected communication, and replied proudly that, if this were the case, he would promptly seek another alliance in Germany, where he had already received several offices for marriage. He was deeply wounded, not without reason, and went off to Paris a few days later, with Egmont and Alva, to remain there as hostages until the conditions of the treaty had been fulfilled. It was not until many months afterwards that he discovered how he had been duped. Christina meanwhile remained in her convent retreat, unconscious of what was happening in her absence, and heard with some surprise that the Prince of Orange had left Court without informing her of his departure.” Cartwright, 1931, 455f
[24] Der Verlauf der Reise ist durch Briefwechsel hinreichend belegt. Am 02. 1559 Juli trifft sie in Besançon ein, am 10. Juli in Basel, über Köln erreicht sie am 26. Juli Brüssel, s. Fornari 2017, 100, Canosa, 2016, 98
[25] Ein Beispiel für eine unbemalte Deckelinnenfläche, lediglich im Farbton des Aussengehäuses gehalten, findet sich bei Antonio Migliai, Florenz um 1682, s. Beurmann, 2000, 61
[26] archive.artic.edu/arms-and-armor/resource/1246: Essay: George F. Harding, Jr. and his "Castle" From Arms and Armor in The Art Institute of Chicago, (1995) by Walter J. Karcheski, Jr., besucht am 26. Sept. 2022
[27] Mail vom 5.10.2022 von Bart H. Ryckbosch an den Verfasser
[28] Beispiele hierfür finden sich bei Bricqueville, 1908, 8, 10
[29] Yale Collection of musical instruments
[30] Hirt, 1955, 1