C7 Wie polydisziplinäres Arbeiten funktioniert
Wie bei einem grossen Puzzle lassen sich einzelne Bausteine zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Das nimmt ein wenig Zeit in Anspruch, weil jeder Stein in Hinblick auf seine Passgenauigkeit zum nächsten überprüft werden muss - wobei mit Passgenauigkeit gemeint ist, dass die Zusammenhänge belegt werden können und nicht, dass sie lediglich plausibel erscheinen.
Nachfolgend legen wir einige Puzzlesteine nebeneinander:
- Wir beobachten, dass 5 Ganzton- und 2 Halbtonschritte zur Oktav (8) führen und bemerken eine mathematische Unstimmigkeit, denn 5 Ganze und 2 Halbe ergeben 6.
- Wir beobachten, dass nicht nur die Oktav-, sondern auch die Prim die musikalische Konsonanz verkörpern und dass die Griechen die beiden Intervallbezeichnungen nicht nutzten, wohl aber die Frühchristen.
- Wir beobachten die Bedeutung der Zahlen 1 und 8 im theologischen Kontext: Die 1 steht am Anfang aller Dinge, die 8 für die 8 Seligkeiten und die Auferstehung am 8. Tage. Die biblischen Wochentage beginnen und enden mit dem dies dominicus, die 1 und die 8 fallen aufeinander. Dahinter steht der Ausspruch: «Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende» (Off.22.13)
- Der theologische Gehalt spiegelt sich in zahlreichen Kunstwerken, z.B. in den erhaltenen Kapitellen der Abtei Cluny oder der Schwalbennestorgel unter einem Achtpassfenster in der Basilique de Valère in Sion. (Vgl Video VII: "Wie die Oktav zu ihrem Namen kam")
- Doch wo kommt die 8 her? Aus der Bibel nicht. Sie begegnet uns früher schon in den 8 himmlischen Sphären, weil man annahm, dass sich die 7 Wandelsterne (Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn) in einer jeweils eigenen Sphäre bewegen, über denen das unveränderbare Sternenmeer die 8. Sphäre bildet. Wo Unbeweglichkeit zu beobachten war, wurde Ewigkeit angenommen - das Reich Gottes, bzw. der Götter.
- Im Zusammenhang mit der Französischen Revolution kam es zu einer Abkehr von jeglicher Symbolik, zur Einführung einer neuen Zeitrechnung (Revolutionskalender), zur Einführung der 10Tage-Woche und des 10Stunden-Tages. Die Prim, bei der es sich gar nicht um ein Intervall handelt, da der Abstand Null ist, wurde als Unisono bezeichnet.
Das mag genügen. Entscheidend ist die Feststellung, dass die verschiedenen Puzzlesteine aus unterschiedlichen Disziplinen – der Musik, Theologie, Geschichte, Kunst, Mathematik und Astronomie stammen. Das Quadrivium, die vier sogenannten freien Künste: Arithmetik, Geometrie, Musik und Kosmologie, galten von der Antike bis in die Renaissance als Schlüssel zur Ergründung des wahren Wesens der Wirklichkeit. Daher fehlt es nicht an Schriftquellen, welche den Zusammenhang untermauern. Auf diese Weise lässt sich das mittelalterliche- bzw. katholische Weltbild zusammensetzen und jeder vermag es, die gemachten Angaben zu überprüfen und unter Hinzuziehung weiterer Quellen zu ergänzen.
In den nachfolgenden Blog-Beiträgen werden solche Bausteine zu Bildelementen zusammengesetzt und es finden sich einige Wiederholungen darin. Warum? Weil jeder Puzzlestein Verbindungsarme in verschiedene Richtungen aufweist und seine Funktion als Beleg nur in jenem Kontext erfüllen kann, in den er passt und in dem er unverzichtbar ist. Polydisziplinäres Arbeiten bedeutet, diese Art der mehrdimensionalen Kontextualisierung nachzuvollziehen. Das Beispiel zeigt, dass man mit der Beschränkung auf nur eine Fachdisziplin das Gesamtbild nie zu Gesicht bekäme.
© 2023 Aurelius Belz