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22.12.2020

B34 Der Entscheid des Bundesamtes für Kultur

Die enge Fokussierung auf das Brauchtum seitens der UNESCO hätte es wohl gestattet, den Vorgang des Orgel- und Klavierstimmens in die Liste der lebendigen Traditionen aufzunehmen - ebenso musikalisch-liturgische Feiern - nicht aber die dahinter stehenden Bildungsinhalte der Harmonielehre, seien sie physikalischer-, musikalischer-, theologischer- oder ethischer Natur.

Dadurch wird das immaterielle Kulurerbe auf die ausgeübten Rituale, Praktiken und Handlungen reduziert, wobei es im Ermessensspielaum der sog. Steuerungsgruppe liegt, die Grenzen in jedem Einzelfall zu definieren. So wurde die direkte Demokratie in die Liste aufgenommen - nicht allein der repetitive Gang der Bürger zu den Wahlurnen. In einer Videokonferenz mit der Sprecherin der Steuerungsgruppe wurde dem Verfasser mitgeteilt, dass Geschichtliches prinzipiell nicht in die Liste gehöre, auch Religiöses gehöre nicht hinein, sofern es sich nicht um ausgeprägte lebendige Traditionen handele. Zudem sei eine Anpassung an die Gesellschaft vorzunehmen. Wie aus dem Bericht der Expertengruppe ersichtlich, liegen den Vorschlägen strategische Überlegungen zugrunde, welche die Interessen der Schweiz berücksichtigen. Von einer Bewertung (Rangordnung) der einzelnen gelebten Traditionen wolle man bewusst Abstand nehmen. Im Übrigen sei nicht ausgeschlossen, dass ein nochmaliger Antrag in 5 Jahren angenommen werden könne, da die Liste nicht abschliessend gedacht sei. 

Fragwürdiger Ablauf

Bestürzend war die geringe Zahl abgerufener Beiträge auf dieser Page im April 2023, in Verbindung mit einer Verweildauer von nur wenigen Minuten. Im Mai, Juni und Juli kamen aus der Schweiz keine neuen Besucher hinzu. Der Entscheid wurde am 11. Mai getroffen und von den Kantonen im Juli validiert. Eine eigenständige unabhängige Einarbeitung in das neue Forschungsgebiet, welches nirgends so kompakt vorgestellt wird wie auf dieser Page, war demzufolge nicht erkennbar und es kam zu keiner Rückfrage. 

Die Bedeutung eines Kulturerbes zeigt sich gerade an der Vielzahl seiner Verästelungen, an seinem Einfluss auf andere Fachbereiche über die Jahrhunderte und anhand seiner geografischen Verbreitung. Die abendländische Harmonielehre ist Teil des katholischen Weltbildes - katholikós ‚allumfassend‘ - von seinem Namen her das denkbar grösste Format. Im gelebten Brauchtum der Gottesdienste - bei denen Orgel und Kirchengesang nicht fehlen dürfen - kommt sie zum Vorschein, ebenso in der Kunst der Fuge von J.S. Bach oder anlässlich der Nutzung von Andachtsinstrumenten, wie sie auf dieser Page vorgestellt wurden. Ihre sakrale Erhabenheit reicht weit in den Profanbereich hinein. Festspielhäuser und Tonhallen werden zu Wallfahrtsstätten mit adäquater architektonischer Ausstattung. 

Elbphilharmonie Hamburg: Architektur und Tonkunst verschmelzen mit dem Himmel 

Hinsichtlich der Lebendigkeit des Brauchtums täuscht die akademische Sichweise, denn Aufklärung und Französische Revolution hatten wohl Einfluss auf die staatlichen Lehrinstitute, welche die Inhalte seitdem nicht mehr vermitteln, nicht jedoch auf die innerkirchlichen liturgischen Abläufe. Daher konnte sich Benedikt XVI 2015 zur abendländischen Musik noch so äussern, wie in Blog B2 wiedergegeben. Die Existenz eines Pontificio istituto di musica sacra spricht für sich. Wer, wenn nicht die Kirche selbst, hätte zu entscheiden, welche Zweige des katholischen Weltbildes als abgestorben zu gelten haben und daher keine lebendigen Traditionen mehr hervorzubringen vermögen? 

Aktualitätsbezug 

Die täglichen Nachrichten informieren uns über eine lebendige globale Tradition des Kriegführens und zudem über die lebendige Tradition der Ausbeutung natürlicher Ressourcen zur Aufrechterhaltung und Vermehrung des Wohlstands. Die Harmonielehre als Weltethos steht demzufolge auf Rang 1 hinsichtlich ihrer globalen Bedeutung für die Menschheit, denn selbst die beste Demokratie wäre ohne Synergiekompetenz nichts wert. Nicht wenige Demokratien und Staatenbündnisse werden instabil, weil es genau daran mangelt. 

Die Geschichte ist voller bitterer Wahrheiten, die keinesfalls ausgeklammert werden dürfen! Eine davon ist diese: seit nunmehr 2500 Jahren konfrontiert Harmonia, die griechische Göttin der Eintracht, die Menschen mit ihrem eigenen Versagen, denn die Harmonielehre steht in Opposition zum strategischen Denken.

Hat sie nun einen weiteren Vorgang der Nichtbeachtung hinnehmen müssen? Welche Rolle spielte bei der Entscheidungsfindung die religiöse Neutralität, auf deren Bedeutung eigens hingewiesen wurde? Um in diesen Fragen Klarheit zu gewinnen, erfolgte aus gegebenem Anlass - insbesondere vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion über die Akzeptanz religiöser Symbole in Klassenzimmern - eine gezielte Rückfrage an das Bundesamt für Kultur. Das Antwortschreiben vom 03.10.2023, in dem die Harmonielehre auf Augenhöhe mit der Schweizerflagge und der Nationalhymne eine Würdigung erfährt, ist nachfolgend wiedergegeben:

Zum Vergrössern bitte anlicken 

Die nachfolgende Karte zeigt das Verbreitungsgebiet des Christentums, das zur Bekanntheit des abendländischen Tonsystems wesentlich beigetragen hat - welches sich seinerseits auch in weiteren Ländern grosser Beliebtheit erfreute - ablesbar u.a. an den Produktionszahlen entsprechender Instrumente - z.B. in Japan und China - und an der dortigen musikalischen Ausbildung. Aus diesem Grunde ist es angebracht, von einem Weltkulturerbe zu sprechen. Bedeutet die Entscheidung des Bundesamtes nun, dass ihm diese Rolle niemals zuerkannt wird?  

Weltkarte des Christentums, Stand 2012